Mädchenförderung im Sport

Mit den Händen spielen

Vom sportspielgerichteten zum sportspielspezifischen Lernen am Beispiel Handballspiele: Folgende Vorschläge helfen dabei, Mädchen in der händischen Spielfähigkeit zu fördern.
Zeichnung: Zwei Frauen beim Basketball-Duell.
Bild: Jocelyne Rickli

Mädchen haben im Bereich Sport und Spiel sozialisationsbedingt meist andere Voraussetzungen als Knaben. Jungs sind sportlich aktiver als Mädchen und Mädchen bevorzugen Sportspiele selten (Lamprecht et al., 2015: «Sport Schweiz 2014, Kinder- und Jugendbericht»). Die mit dem Beliebtheitsgrad der Spielsportarten einhergehenden Erfahrungsunterschiede führen zu unterschiedlichen Voraussetzungen und Anknüpfungspunkten im Spielunterricht mit Mädchen und Knaben.

Geschlechtergetrennter Spielunterricht erscheint daher gerade für die Sportspiele geeignet, insbesondere auf der Mittelstufe und auf der Sekundarstufe I, denn für diese Altersklassen wurde im erwähnten Kinder- und Jugendbericht der geschlechtsbezogene bezüglich der Spielsportarten festgestellt. Es darf davon ausgegangen werden, dass Mädchen von einem Spielunterricht, welcher vorerst grundlegende Spielfähigkeiten fördert, profitieren. Doch wie sehen grundlegende Spielfähigkeiten aus?

Mitspiel- und Sportspiel-Fähigkeit unterscheiden

König und Memmert (2012, S.13ff.) entfalten einen mehrperspektivischen Ansatz von Spielfähigkeit: sie unterscheiden die Spielfähigkeit in eine Mitspielfähigkeit und eine Sportspielfähigkeit. Mitspielfähigkeit bedeutet ein Spiel in Gang setzen und den Spielverlauf sichern zu können (pädagogische Perspektive), und die Sportspielfähigkeit bezeichnet die Fähigkeiten und Fertigkeiten, ein Sportspiel auch mit Blick auf das Gegeneinander spielen ausüben zu können (trainingswissenschaftliche Perspektive).

In der Regel zeichnen sich Mädchen bzw. Mädchenklassen durch eine gute Mitspielfähigkeit aus: sie können sich meist gut verständigen sowie ein friedliches Spiel in Gang bringen und halten. Förderbedarf ergibt sich bei Mädchen primär bezüglich der Sportspielfähigkeit – insbesondere mit Blick auf ihre technischen und taktischen Fähigkeiten. König und Memmert (2012) differenzieren Sportspielfähigkeit weiter in allgemeine (basistaktische, koordinative und technische Kompetenzen) und spezifische Sportspielfähigkeiten.

Aus den sportspieltheoretischen Überlegungen folgt die didaktische Konsequenz, dass vor allem mit Mädchen mit wenig sportspielerischen Erfahrungen zuerst ein Fundament motorischer und taktischer Fähigkeiten aufzubauen ist. Ausgehend von dieser Basis sind weiterführende (sportspiel-) spezifische Qualifikationen zu vermitteln. Eine allgemeine Sportspielfähigkeit wird mit sportspielübergreifenden Basistaktiken aufgebaut (vgl. König & Memmert, 2012, S. 24), vergleichbar mit den Kernelementen Taktik (vgl. Lüscher, 2013, S. 59).

Die Tabelle präsentiert einen Vergleich der verschiedenen Elemente dieser beiden Konzepte:

Sportübergreifende Basistaktiken
(vgl. König & Memmert, 2012, S.24)
Kernelemente Taktik
(vgl. Lüscher, 2013, S. 59)
Ziel ansteuern Zusammenstoss verhindern
Ball dem Ziel annähern Freilaufen
Zusammenspiel Zusammenspielen
Lücken ausnutzen Freien Raum sehen und ausnützen
Gegnerbehinderung umgehen Einen kleinen Raum verteidigen
Überzahl herausspielen Überzahl erkennen und ausnützen

Die Basistaktiken (König & Memmert, 2012) und Kernelemente Taktik (Lüscher, 2013) stimmen zu 50% überein (vgl. Nr. 3, 4 und 6). Alle Basistaktiken und Kernelemente tragen zur Förderung der allgemeinen Spielfähigkeit bei. Auch im motorischen Bereich unterstützt ein spielübergreifendes Erwerben technischer Fähigkeiten den Aufbau einer allgemeinen Spielfähigkeit. Zu diesen technischen Grundlagen zählen das Passen, das Fangen, die Ballannahme, das Prellen sowie das Führen eines Balles.

Das Spielen spielen und verstehen lernen

Sportspielerisch unerfahrene Mädchen brauchen viele wie auch vielfältig gestaltete Spielmöglichkeiten zur Förderung ihrer sportspielübergreifenden und sportspielspezifischen Fähigkeiten, und sie benötigen Zeit für Erfolgserlebnisse im taktischen und technischen Bereich. Baumberger und Müller (2011, S. 70) schreiben treffend: «Es sind anspruchsvolle Wahrnehmungsprozesse nötig, um die technischen und taktischen Anforderungen so zu koordinieren, dass in der Offenheit von Spielsituationen erfolgreich gehandelt wird. Dies braucht viel gemeinsame Spiel- und Übungszeit. Spielen will gelernt sein!»

In diesem Beitrag steht mit einem ganzheitlichen und spielerischen Zugang das Spielen selbst im Zentrum (vgl. Baumberger & Müller, 2011, S. 7ff.). Spielsituationen ermöglichen taktisches Denken, regen zum Lösen von Problemen an, und sie fordern Entscheidungen. Bei taktikorientierten Lehrwegen ist das Verstehen des Spiels von Bedeutung. Gestartet wird mit einer Spielform, welche dem Niveau der Lernenden angepasst ist. Sinnvoll ist auch das Spielen in homogenen Leistungsgruppen. Steinegger (2013, S. 151) weist darauf hin, dass auf dem Lernniveau von Anfängerinnen und Anfängern Kleine Spiele dienlich sein können: «Kleine Spiele und verschiedene Spielformen dienen der Darstellung und Provokation von taktischen Problemen und sollen das Interesse der Lernenden wecken».

Das Spielen reflektieren

Nach Spielsequenzen regt die Lehrperson mit Fragen zum Nachdenken an, z.B.: Was ist das Ziel des Spiels? Warst du im Spiel anspielbar? Konntest du den Ball annehmen? Hast du Spielerinnen im freien Raum gesehen? Konntest du deine Mitspielerinnen gezielt anspielen? Gemäss Baumberger und Müller (2011, S. 9) erkennen die Spielerinnen in Reflexionen, wie sie sich freilaufen und anbieten können, oder dass das Annehmen und Zuspielen des Balles noch Probleme bereitet: «Spielen und Üben von Fertigkeiten sind gleich wichtig und stehen in einem funktionalen Zusammenhang. Spielsituationen werden analysiert, indem taktische Lösungen und technische Voraussetzungen dafür besprochen werden» (Baumberger & Müller, 2011, S. 9).

Solche Einsichten tragen zur Steigerung der Spielqualität bei, in dem in einer nächsten Spielphase gezielt an den erkannten Schwächen – z.B. das Freilaufen – geübt und verbessert wird. Diese Selbsterkenntnisse fördern auch die Motivation der Lernenden gezielt Fertigkeiten zu üben. Auch Techniken sollten nicht isoliert, sondern im Kontext von Spielsituationen geübt werden. Falls erforderlich, können Situationen aus den Spielen des untenstehenden Praxisteils für technisches Üben genutzt werden. Sportspielübergreifende Fähigkeiten sind auch Grundlagen von sportspielgerichtetem Lernen (vgl. König & Memmert, 2012, S.15) und können auf dem Weg zum Handball weiter gefördert werden.

Der Praxisteil (siehe Kasten «Praxis») präsentiert Handball-Spielformen, die vom sportspiel-gerichteten zum sportspielspezifischen Lernen führen. Alle Spielformen sind leicht veränderbar, und dazu eignen sich prinzipiell folgende Vereinfachungsstrategien (vgl. Baumberger & Müller, 2011, S. 10):

  • Feld- und Teamgrösse: Das Spielen auf mehreren Feldern in kleinen Teams erhöht die aktive Beteiligung, z.B. grössere Zielobjekte erhöhen die Erfolgschancen.
  • Regelerleichterungen: Das Spiel grundsätzlich mit einem Minimum an Spielregeln beginnen und die Regeln im Dialog mit den Lernenden schrittweise erweitern, z.B. ohne Schrittregeln starten.
  • Reduktion der technischen Handlungsanforderungen: Spielsituationen sollen für alle Mädchen möglich sein, z.B. zu Beginn kleine, leichte, langsame fliegende Bälle verwenden.
  • Erleichterung der taktischen Handlungsanforderungen: In kleinen, überschaubaren Teams spielen, sinnvoll sind auch Überzahlsituationen, z.B. 2 gegen 1 oder 3 gegen 2.

Eine Spielsituation bzw. ein Spiel soll spannend sein. Im Reflexionsgespräch können gemeinsam mit den Schülerinnen Weiterentwicklungen und Erschwerungen festgelegt werden.