Mädchenförderung im Sport

Kämpfen, fallen, sich verteidigen

Mädchen wird oft vermittelt, dass sie weder fallen, noch kämpfen, noch sich verteidigen sollen. Der Sportunterricht gestattet den Mädchen das Fallen, Kämpfen und sich Verteidigen, und gibt die Chance alles zu üben. Entsprechende Bewegungsformen leisten einen Beitrag zur Erhöhung der eigenen Sicherheit und der Entfaltung des vollen Potenzials.
Zeichnung: Frau beim Kampfsport.
Bild: Jocelyne Rickli

Kampf und Fairness, geht das miteinander? Gemäss der Philosophie der fernöstlichen Kampfkünste wird nach klaren Regeln und Ritualen mit- und gegeneinander gekämpft, wobei Anstand und Respekt höchste Priorität geniessen. Beim spielerischen Kämpfen leben Kinder und Jugendliche ihren Bewegungsdrang aus und lernen ihre Emotionen sowie den Umgang damit kennen. Ihre konditionellen und koordinativen Fähigkeiten werden gefördert, sie müssen lernen, sich mit ihrem Gegenüber auseinanderzusetzen, sich an Regeln zu halten und fair zu handeln.

Das Erlernen einfacher technisch-taktischer Elemente eröffnet weitere Optionen in der fairen kämpferischen Auseinandersetzung mit der Partnerin. Das sich Verteidigen ist nicht nur im direkten körperlichen Kampf relevant. Auch eine Abgrenzung gegen unerwünschte soziale Annäherung (z.B. zu intime Fragen) ist für die eigene Sicherheit wichtig. Die persönlichen Grenzen kennen und verdeutlichen lernen – dies kann im Sport bereits durch einfache Selbstbehauptungsübungen und Selbstverteidigungstechniken erreicht werden.

Die Übungen (siehe Kasten «Praxis») können grosse Wirkung erzielen und das Selbstvertrauen (Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, reduzierte Angst; Brecklin, 2008) stärken. Auch um sich mutig verteidigen zu können, ist es wichtig, sicher fallen zu können. Sicheres Fallen bildet eine Voraussetzung für Wurf- und Standtechniken. Es setzt das Erlernen und Automatisieren verschiedener Falltechniken voraus. In Kampfspielen sowie beim Kämpfen wird der gesamte Organismus und Bewegungsapparat beansprucht.

Eine Besonderheit bildet dabei das Erleben des direkten Körperkontaktes. Zentral geht es beim Kämpfen darum, mit dem Gleichgewicht und der Körperspannung zu experimentieren. Das Ziel ist es, das Gleichgewicht der Partnerin zu brechen, während das eigene Gleichgewicht möglichst beizubehalten resp. bei kurzzeitigem Verlust möglichst schnell wiederzufinden ist. Dies ist auch als Sinnbild und Übung für einen Übertrag in den Alltag nutzbar.

Methodischer Aufbau

Grafik: Bild Pyramide Kaempfen
(Bild: Sigg & Teuber-Gioella, 1998) Klicken zum Vergrössern

Es ist sinnvoll, die Kampfspiele methodisch aufzubauen, um dabei in einem ersten Schritt den direkten Körperkontakt zu erfahren und zu akzeptieren sowie Kooperationsbereitschaft und Vertrauen zu entwickeln. Weiterführend sind Übungen sinnvoll, in denen die Mädchen spielerisch die Kräfte messen, wobei es zum Beispiel um das Ziehen oder Stossen gehen kann, das schrittweise erweitert wird, indem der Kampf um Objekte, um den Raum oder um die Veränderung der Körperlage geht. Der methodischen Pyramide (vgl. Bild) gemäss geht es erst im nächsten Schritt darum, das Fallen und das Werfen aus dem Stand oder die Veränderung der Körperlage bei anderen am Boden zu bewirken. Fast jedes der in diesem Kapitel präsentierten Spiele bzw. Übungen können i n verschiedenen Sozialformen durchgeführt und damit entschärft oder intensiviert werden. Je nach Sozialform kann die jeweilige Gegnerin selbst ausgesucht, das Engagement der Einzelnen dosiert oder selbstständiges Denken, Teamwork oder die Entwicklung von Taktiken gefördert werden.

Sicherheit geht vor

Bei allen Übungen (siehe Kasten «Praxis») steht immer die Sicherheit der Schülerinnen im Vordergrund. Das kämpferische Gegeneinander setzt das Miteinander voraus. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass die Mädchen die von der Lehrperson ausgewählten Rituale kennenlernen, verstehen und anwenden. Zudem müssen sie die geltenden Regeln kennen, einhalten und können sie mit der Zeit ggf. auch selbstständig verändern (siehe Checkliste Sicherheit).

Checkliste Sicherheit

  • Verletzungsgefahr: Schmuck und Schuhe sollten ausgezogen werden. Je nach Spiel werden Matten benötigt.
  • Regeleinhaltung: Die Schülerinnen müssen wissen, dass Regelübertretungen
  • auf keinen Fall toleriert werden. Die Lehrperson spielt eine zentrale Rolle. Klare durchsetzbare Regeln und eine ruhige Unterrichtsatmosphäre helfen. Sofortiges Handeln der Lehrperson und der Schiedsrichterin ist unabdingbar. Grundsatz: so wenige Regeln wie möglich, so viele wie nötig.
  • Goldene Regel: Faires Kämpfen heisst, dass man Anderen nichts antut,
    was man selber nicht gerne hat.
  • Ritual: Durch immer wiederkehrende Handlungen wie Begrüssungszeremonie vor dem Kampf, Zeichen für den Beginn eines Kampfes durch Hände schütteln oder am Ende eines Kampfes der Verliererin aufhelfen, ergeben mit der Zeit eine Kette von Ritualen, die zum positiven Verlauf des Sportunterrichts und zum besseren Umgang untereinander beitragen.
  • Stopp: Als Ausruf oder durch dreimaliges Abschlagen mit der Hand ist das Zeichen, den Kampf umgehend zu unterbrechen.
  • Chancengleichheit: Jede Schülerin soll die Möglichkeit haben, Erfolgserlebnisse zu feiern. Dies ist beim Kämpfen sehr wichtig. Deshalb sollte einerseits bei der Einteilung auf Kraft, Grösse und Gewicht der Schülerinnen geachtet, andererseits verschiedene Sozialforen gewählt werden.