Mädchenförderung im Sport

In der Leichtathletik fördern und beurteilen

Im koedukativen Sportunterricht erleben sich einige Mädchen im Laufen, Springen und Werfen wenig erfolgreich oder handlungsfähig. Die Leichtathletik ist eine geeignete Sportart um den Vergleich mit sich selbst in den Vordergrund zu stellen.
Zeichnung: Frau beim Kugelstoss.
Bild: Jocelyne Rickli

Die Grundbewegungen Laufen, Springen und Werfen sind für viele Sportarten Ausgangspunkt und Voraussetzung. Ebenso bilden sie die Grundpfeiler aller leichtathletischen Disziplinen und besitzen einen hohen Stellenwert im Sportunterricht. Mädchen bevorzugen ästhetische und gymnastischtänzerische Sportarten im Vergleich zu Jungen, die eher kompetitive, kraft- und zweikampfbetonte Sportarten bevorzugen (vgl. Mutz & Burrmann, 2014, S. 171).

Demnach fordert die Leichtathletik eher einen geschlechtergetrennten Sportunterricht, indem statt einer leistungsorientierten Gewichtung durch die Trias «schneller-höher-weiter» in einem reinen Mädchen-Sportunterricht vorwiegend die Bewegungsqualität und die Ästhetik der Bewegungen im Vordergrund stehen.

Selbstbestimmt laufen, springen und werfen

Nach der Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 2000) beeinflussen primär drei grundlegende psychologische Bedürfnisse eine Handlung – und damit auch die Beteiligung am Sportunterricht. Die Grundbedürfnisse beziehen sich auf das Erleben von Kompetenz, sozialer Eingebundenheit und Autonomie (Selbstbestimmung). Die Leichtathletik eignet sich dazu, Mädchen beim Laufen, Springen und Werfen zu fördern und zugleich die drei Aspekte der grundlegenden psychologischen Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Erst wird erörtert, wie sich durch eine mädchengerechte Beurteilung der Fokus der Leistungsorientierung in Richtung Kompetenzerleben verschieben lässt. Dann wird die Bewegungsqualität als zentrales Merkmal hervorgehoben, da dieser Fokus eine Chance bietet, um z.B. konditionell schwächeren Mädchen erzielte Erfolge aufzuzeigen – und damit bewusst erleben zu lassen. Dabei handelt es sich um eine Methode, die durch Lernpartnerschaften den Fokus auf die Förderung sozialer Eingebundenheit legt. Schliesslich werden methodische Optionen präsentiert, wie Mädchen im Sportunterricht selbstbestimmt Ziele und Beurteilungsformen festlegen können, die sie in den verschiedenen Disziplinen der Leichtathletik erreichen wollen.

Erfolgserlebnisse ermöglichen

Im Kompetenzerleben äussert sich das Bestreben, sich selbst als erfolgreich zu erfahren. Im koedukativen Sportunterricht der Mittelstufe werden einige Mädchen im Laufen, Springen und Werfen (v. a. im Vergleich mit anderen Schülerinnen) Erfolgserlebnisse vermissen und sich als vergleichsweise wenig handlungsfähig erleben. In der Leichtathletik kann die Individualnorm, das heisst, der «Vergleich mit sich selbst», aber gut in den Vordergrund gestellt werden.

Dies geschieht, indem individuelle Ausgangswerte vor einer leichtathletischen Einheit im Sportunterricht mit Endresultaten nach Abschluss einer Unterrichtssequenz verglichen werden. Rheinberg (1980, 2008) weist der individuellen Bezugsorientierung eine Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung zu, was motivationspsychologisch von grosser Bedeutung ist. Mutz und Burrmann (2014) konnten zeigen, dass in einem koedukativen Sportunterricht im Vergleich mit einem geschlechtergetrennten Sportunterricht das sportbezogene Selbstkonzept der Mädchen geringer ist.

Dieser Befund bekräftigt eine Orientierung an der Individualnorm, um Erfolgserlebnisse für Schülerinnen zu verdeutlichen bzw. zu ermöglichen. Die Dokumentation der Leistungsentwicklung in einem Lerntagebuch oder Sportheft (Reimann, 2008) lässt individuelle Fortschritte und damit Kompetenzerweiterung sichtbar werden. Lehrpersonen können zum Analysieren individueller Leistungsentwicklungen anregen, indem sie Zeit und methodische Anreize (z. B. ein Lerntagebuch, persönliche Entwicklungstabellen, individuelle Vergleiche mit der Körpergrösse oder -gewicht, etc.) zum Reflektieren und Verstehen von Lernzuwächsen und Leistungssteigerungen geben. Ein solches Vorgehen entspricht dem Anliegen eines kompetenzorientierten Sportunterrichts (vgl. D-EDK, 2014).

Auf Bewegungsqualität fokussieren

Erfolge in leichtathletischen Bewegungen hängen von konditionellen Fähigkeiten und von der Qualität der Bewegungskoordination ab. Ein lernförderlicher Unterricht in der Leichtathletik schenkt der Bewegungsqualität viel Beachtung. Kernbewegungen bilden ideale Grundlagen für das Ausdifferenzieren leichtathletischer Techniken. Wenn der Fokus vom «schneller-höher-weiter» auf die Bewegungsqualität, also auf die Steuerung der Bewegung gelegt wird, haben Mädchen mit energetisch weniger guten Voraussetzungen mehr Chancen auf Erfolgserlebnisse.

Für die Umsetzung dieses Anliegens eignen sich Leichtathletiktests (z. B. Weber & Kunz, 2012). Dabei prüfen vier von fünf Testübungen die Bewegungsqualität mit dem Fokus auf koordinative Fähigkeiten sowie auf die Grundlagen der Leichtathletik und schliessen das Fördern der Beidseitigkeit (rechts und links) ein. Die fünfte Testübung «Laufe dein Alter in Minuten» leistet einen Beitrag zum Aufbau der Grundlagenausdauer und fördert kognitive Aspekte (z. B. Wahl des Lauftempos, um die vorgegebene Minutenzahl durchzuhalten). Der Praxisteil zeigt Lernwege zu Testübungen zum Laufen, Springen und Werfen auf.

Systematisch beobachten: Der Förderkreis

Bild: Testuebung Hochsprungkreis
Quelle: Ester Reimann, Testübung Hochsprungkreis. Klicken zum Vergrössern.

Die «Förderorientierte Beurteilung» (Reimann, 2013) unterstützt ebenfalls die Kompetenzerfahrung durch Fokussierung auf einen qualitativen Lernprozess. Im «Förderkreis» werden Lernziele und Beurteilungskriterien für die Grundanforderungen formuliert.

Mit Blick auf die Lernziele werden die Bewegungen beobachtet, der Lernstand beurteilt und eine individuelle Rückmeldung gegeben. Der Prozess (Beobachtung, Beurteilung, Rückmeldung) läuft spiralförmig immer weiter, bis das formulierte Lernziel erreicht ist (Kompetenzerfahrung). Um Anreize für den weiteren Lernprozess zu geben und um der Heterogenität des Leistungsspektrums unter Mädchen gerecht werden zu können, sind auch Lernziele für erweiterte Anforderungen formuliert (Lernziele übertroffen bis Lernziele weit übertroffen). Abbildung 1 zeigt die differenzierten Anforderungen am Beispiel der Testübung «Hochsprungkreis» (pdf).

Die methodische Form des «Förderkreises» kann mit Lernpartnerschaften als Angebot zum Ansprechen des Grundbedürfnisses nach sozialer Eingebundenheit genutzt werden. Schülerinnen üben dabei mit ihrer Lernpartnerin das Beobachten und Beurteilen von Bewegungen. Zu Beginn sollten sie sich auf ein einziges Merkmal konzentrieren und einen einzigen Knotenpunkt der Bewegung beobachten (z. B. Wie ist der Schwungbeineinsatz?), damit sie in der Beurteilung nicht überfordert sind und hilfreiche Rückmeldungen geben können. Die Lernpartnerinnen erleben sich als Team, das sich gegenseitig beim Erreichen der Lernziele unterstützt.

Lernzuwachs prüfen

Selbstbestimmung in leichtathletischen Disziplinen findet statt, wenn z. B. eigene Lernziele selbst definiert werden, oder eine Entscheidung in zur Auswahl gestellten Prüfungsformen getroffen wird. Bezüglich der Prüfungsformen kann dies z. B. erfolgen, wenn Ausgangswerte in Wurfdisziplinen gemessen werden. Daraufhin bestimmen die Mädchen selbst, wie viel Prozent Zuwachs sie in welcher Zeit erreichen sollen oder wollen. Anhand der Steigerung der Prozentzahl (z. B. +10% bis + 40%) erfolgt die Bewertung.

Dabei spielt die effektiv erreichte Wurfweite keine Rolle. Auch der «Hochsprung im Vergleich zur Körpergrösse» ist möglich: Hier wird wieder nicht die effektiv erreichte Sprunghöhe gemessen, sondern die Differenz der übersprungenen Höhe (technikübergreifend) zur Körpergrösse. Diese in der Regel negative Zahl bildet auf einer Skala die Note. Ebenfalls denkbar sind Wahlmöglichkeiten zwischen einer Techniknote (qualitative Bewertung) oder einer Leistungsnote (quantitative Bewertung). Diese Option ist in allen technischen Disziplinen der Leichtathletik umsetzbar.