Choreografieren – Dritter Schritt

Musik

Seit jeher sind Musik und Bewegung eng verbunden. Aber geht die Bewegung eigentlich aus der Musik hervor oder ist es umgekehrt? Aus choreografischer Perspektive sind beide Szenarien denkbar.

Die Lehrperson entscheidet, ob sie Musik suchen und dazu die passenden Bewegungen finden will oder umgekehrt.

Livemusik oder Musik ab Band?

Die Lehrperson kann zwischen live (von Musikern oder von den Interpreten selbst) gespielter Musik und Musikaufnahmen (CD, MP3 usw.) wählen.

Vorteil der ersten Option ist, dass man die Musik adaptieren oder sogar speziell für das Projekt komponieren kann. Nachteile dabei sind allenfalls Tempo- und Besetzungsunterschiede von einer Vorstellung zur anderen oder das Auftauchen von Unvorhergesehenem. Die Teilnehmenden müssen deshalb flexibler sein, als wenn die Musik von einer Aufnahme stammt.

Wie wird die Musik gewählt?

Die Lehrperson kann von einem Stück inspiriert sein und davon ausgehen oder aber einen oder mehrere der folgenden Aspekte berücksichtigen:

  • Sinnvollerweise wird eine Musik gewählt, die mit dem in der Reflexionsphase definierten Wozu in Verbindung steht. Will die Lehrperson zum Beispiel eine Choreografie für einen Wettbewerb entwickeln, muss die Musik bestimmte musikalische Parameter einhalten (Tempo, Takt, Akzent usw.). Wird als Thema beispielsweise Western gewählt, muss das Publikum dies schon bei den ersten Klängen verstehen.
  • Die Musik sollte dem Stil des Bewegungsrepertoires angepasst sein – Hip-Hop, klassischer Tanz, Gymnastik usw. – wobei Kontraste, Hip-Hop-Bewegungen zu klassischer Musik zum Beispiel, bisweilen interessant sein können.
  • Die Musikwahl ist auch an das Musikverständnis der Teilnehmenden gebunden. Musikalische Parameter werden nach und nach erworben; ein Kind kann Musik nicht gleich interpretieren wie ein Jugendlicher oder ein Erwachsener
    • Bei kleinen, drei- bis fünfjährigen Kindern arbeitet man am besten mit stark kontrastierend phrasierter Musik (schnell/langsam, leicht/schwer). Die Phrasen werden mit zuvor definierten Bewegungen verbunden (Beispiel: Verwandlung in einen Schmetterling bei der leichten Phrase, in einen Elefanten bei der schweren).
    • Im Alter von fünf bis sechs Jahren können manche Kinder den Takt klar fühlen. Die Lehrperson kann diese Kinder im Vordergrund platzieren, damit die andern von ihnen das Tempo abnehmen können.
    • Jugendliche sind im Prinzip fähig, die Grundparameter der Musik zu empfinden (Metrum, Akzent, Rhythmus usw.). Bei der Arbeit mit Jugendlichen kann die Verwendung der Musik komplexeren Schemata folgen.

Wie findet man die Musik zu einem neuen Projekt?

Um neue Musik zu finden, gibt es kein Patentrezept. Manchmal eröffnet die Zusammenarbeit mit Musikern neue Horizonte; man kann aber auch die unerschöpflichen Quellen des Internets anzapfen. Sinnvoll kann sein, die Teilnehmenden nach ihren Vorlieben zu fragen.

Keine Sorgen machen sollte man sich, wenn am Anfang des schöpferischen Prozesses noch keine passende Musik vorliegt. Manchmal lässt sich dieser Entscheid erst nach mehreren Wochen Arbeit fällen.

Wie wird ein Musikstück analysiert?

Musikstücke lassen sich auf verschiedene Weisen analysieren. Hier ein einfaches Beispiel, ausgehend von einer Tabelle.

 

  • Mit jeder Linie beginnt ein neuer Teil (Strophe, Refrain, Instrumental).
  • In der ersten Kolonne steht jeweils die Anfangszeit der einzelnen Teile. Diese Information ist beim Üben einzelner Passagen praktisch.
  • In der zweiten Kolonne steht die Anzahl Takte. Die meisten Musikstücke bauen auf einem Viervierteltakt auf. In der Gymnastik und im Tanz wird die Musik oft auf acht Schläge gezählt und in vier Achterblöcke gruppiert (4 × 8 Schläge).
  • In der dritten Kolonne steht die Bezeichnung für die Passage (Strophe, Refrain, Instrumententyp usw.).
  • Der Tabelle kann eine vierte Kolonne beigefügt werden, in der die Platzierung der Teilnehmenden (Skizze der Formationen), die eingesetzten Effekte oder andere für das Projekt nützliche Aspekte notiert werden.
  • In diesem Beispiel ist das Stück einfach und regelmässig: Es enthält ein Intro und einen Schluss sowie eine Strophe, einen Refrain und ein Instrumental (jeweils dreimal wiederholt). Auffällig ist nur das immer länger werdende Instrumental (4 × 8, dann 8 × 8 und schliesslich 12 × 8).
  • Je nach Musik und Projekt braucht es eine genauere Analyse, um weitere musikalische Parameter wie Rhythmus oder Akzentuierung einer Passage zu bestimmen.

Wie wird die Musik eingesetzt?

Viele Lehrpersonen interpretieren die Musik möglichst getreu (Akzentuierung, Rhythmus, Pausen usw.). Allerdings kann man auch einen andern Ansatz wählen und ihren Einsatz variieren.

  • Interpretieren: Musik und musikalische Parameter verinnerlichen und daraus Bewegungen schöpfen.
  • Entgegentreten: Kontraste zwischen Musik und Bewegungen schaffen.
  • Dialog aufnehmen: In Beziehung zur Musik treten, indem man sie als Partner ergänzt, in Frage stellt usw.
  • Übergehen: Die Musik vergessen und die beiden Ausdrucksformen unabhängig voneinander leben lassen.
  • Wechseln: Die Bewegung ausgehend von einem Musikstück entwickeln und sie am Ende zusammen mit einer andern Musikbegleitung ausführen.

Weit gefasste Definition

Im Rahmen dieses Monatsthemas wird Musik im weitesten Sinn verstanden. Abgesehen von Musik im traditionellen Sinn sind auch Klänge, Wörter (gesungen, skandiert, gerappt usw.) und Stille in Betracht zu ziehen. Manchmal ist die Stille noch stärker als alles andere, weil sie erlaubt, den natürlichen Rhythmus der Bewegung zu empfinden und weil sie die Bewegung ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Das Publikum kann nicht voraussagen, wie es weitergeht und muss den gegenwärtigen Moment geniessen.