Wo stehen und wie gehen? Wie Du beim Unterrichten Präsenz markierst
Stell dir vor, du hättest dein Stellungsspiel perfektioniert – nicht auf dem Spielfeld, sondern zwischen dir und deinen Zuhörerinnen und Zuhörern sowie dem Screen mit deiner Präsentation des Unterrichtsthemas. Denn wie im Sport entscheidet auch im Unterricht die Position über das Spiel. In diesem dritten Artikel der Serie «Die Psychologie des Unterrichtens» erfährst du, wie du durch gezielte Präsenz den Sweet Spot im Raum triffst.
Autor: Tim Hartmann, Fachspezialist bei Jugend- und Erwachsenensport am BASPO; Dozent für Sportpsychologie und Kampfsport am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel
Der Tennisspieler schaut, dass er gut zum Ball steht, die Weitspringerin markiert ihre Startposition und die Fussballspieler arbeiten an ihrem Stellungsspiel. In der Sportwelt gilt die richtige Positionierung als zentraler Erfolgsfaktor. Da sind sich Sportlerinnen und Sportler einig. Bloss: Wenn dieselben in die Rolle von Ausbilderinnen und Ausbilder schlüpfen und «vor Leuten stehen», machen sich viele keine Gedanken zur idealen Position. Schade, denn bereits mit kleinen Anpassungen, lässt sich eine grosse Wirkung erzielen.
Finde den Sweet Spot
Wo würdest du im Koordinatensystem die Ausbilderin oder den Ausbilder idealerweise hinstellen? Wie steht es um deine Kenntnisse in Sachen Positionierung? Du hast drei Versuche.
Senkrechte: Steht vom Publikum aus gesehen…
Waagrechte: Wählt einen Abstand von…
Auflösung
Senkrechte
Hinter dem Bildschirm wirst du dich kaum positionieren. Ausser du musst als CEO miserable Quartalszahlen präsentieren und hast Angst, mit faulen Eiern beworfen zu werden. Vermutlich wirst du auch nicht vor dem Bildschirm stehen. Schliesslich steht der Museumsguide im Louvre bei seinen Ausführungen auch nicht vor der Mona Lisa. Eigentlich klar. Überraschend gleichwohl, wie viele Referentinnen und Referenten ihrem Publikum die Sicht auf die Folien versperren.
Also positionierst du dich seitlich vom Bildschirm. Welche Seite wählst du? Idealerweise stehst du, vom Publikum aus gesehen, links vom Bildschirm. So berücksichtigst du die Leserichtung der Teilnehmenden. Da diese von links nach rechts lesen, nehmen sie zuerst dich wahr, folgen deiner Gestik und gleiten mit dem Blick zum Bildschirm rüber. Die linke Seite bildet einen natürlichen Ankerpunkt für die Zuschauerinnen und Zuschauer. Wie beim Lesen eines Buchs wandert ihr Blick immer wieder nach links und damit zur referierenden Person zurück.
Waagrechte
Eine Schulstudie1 stattete Schülerinnen und Schüler mit Mini-Kameras aus und untersuchte den Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeit und räumlicher Distanz zur Lehrperson. Die höchsten Aufmerksamkeitswerte hatten Schülerinnen und Schüler, bei denen die Distanz zur Lehrperson zwischen 1.20 und 3.70 m betrug. Positioniere dich deshalb etwa 2 Schritte (ca. 1.20 m) von der ersten Sitzreihe entfernt. So stellst du sicher, dass die ersten paar Reihen in der höchsten «Aufmerksamkeitszone» sind.
Oftmals stehen Ausbilderinnen und Ausbilder zu weit weg von ihrem Publikum. Nicht selten ist es ein Rednerpult o.ä., dass ihnen «befiehlt», wo sie zu stehen haben. Weg damit! Es baut nicht nur eine räumliche Distanz zwischen dir und den Teilnehmenden auf, sondern kann auch eine emotionale Barriere darstellen. Sehen wir den ganzen Menschen ist das vertrauenswürdiger als nur ein Kopf und ein paar fuchtelnde Hände. Zudem verleitet ein Rednerpult (oder auch ein Schwedenkasten im Turnhallensetting) zu einer schlechten Körperhaltung. Tipp: Falls du an einem Ort unterrichtest, den du nicht kennst, pack ein Strom- und HDMI-Verlängerungskabel ein. So bist du flexibel und kannst bei Bedarf deinen Laptop näher am Publikum platzieren.
Unterrichtest du eine grosse Gruppe, hast du naturgemäss einen grossen Abstand zu den Teilnehmenden in den hinteren Reihen. Verschieb dich deswegen immer wieder auf der Seite in ihre Richtung, damit du diese Distanz zumindest phasenweise überbrücken kannst.
Spätestens jetzt wirst du als Leserin oder Leser die Hand heben: Also wie jetzt? Soll ich links neben dem Bildschirm stehen oder nahe ans Publikum treten und meinen Standort dabei immer wieder mal wechseln? Das tönt nach der Quadratur des Kreises. Folgendes Vorgehen hat sich bewährt. Nimmst du explizit Bezug auf eine Folie, dann platziere dich vom Publikum aus gesehen links vom Bildschirm. Stehen die Folien nicht im Zentrum – z.B. bei freier Rede oder interaktiven Sequenzen mit den Teilnehmenden – suchst du die Nähe zum Publikum. Schalte dabei den Bildschirm auf schwarz. Dazu drückst du im Vollbildmodus die Taste B (oder du fügst vorgängig eine schwarze Zwischenfolie ein).
So bespielst du den Raum beim Unterrichten
- Auch beim Unterrichten gilt: «You never get a second chance to make a first impression» («Man bekommt niemals eine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu hinterlassen»). Ausbilderinnen und Ausbilder, die bei der Begrüssung hinten links «in Deckung gehen», signalisieren ihrem Publikum, dass sie lieber woanders wären. Stelle dich deshalb zum Lektionsbeginn in der Mitte und nahe zur ersten Reihe auf. Lächle und lass den Blick 5-10 Sekunden schweifen, ohne ein Wort zu sagen. Das kommt dir anfänglich wie eine gefühlte Ewigkeit vor. Dieses Vorgehen aber lohnt sich: Wenn du dann deine ersten Worte an die Teilnehmenden richtest, hast du ihre Aufmerksamkeit auf sicher.
- Wer sich beim Unterrichten bewegt, vermittelt einen dynamischen Eindruck. Die Bewegung sollte aber bewusst und gezielt erfolgen. Ausbilderinnen und Ausbilder, die ständig in Bewegung sind, wirken rastlos und nervös. Idealerweise gehst du zu einem Standort, verwurzelst beide Füsse und beginnst dann zu sprechen. Dann machst du eine Redepause, wechselst den Standort und beginnst von neuem an zu sprechen.
- Verknüpfe die Bewegung mit inhaltlichen Aussagen. Möchtest du beispielsweise zwei Standpunkte darlegen, dann arbeite tatsächlich mit zwei Standpunkten. Formuliere den ersten Standpunkt auf der einen Seite, verschiebe dann zur anderen Seite und vermittle den zweiten Standpunkt. Oder um einen chronologischen Ablauf aufzuzeigen, kannst du auf einer Seite starten und dich dann Punkt für Punkt in Richtung der anderen Seite verschieben. Achtung: Beachte, dass dein Publikum dich spiegelverkehrt sieht. Um den ersten Punkt einer Chronologie aufzuzeigen, musst sich dein erster Standort deshalb von dir aus gesehen rechts aussen befinden. Du weisst schon, wegen der Leserichtung.
Literatur
1 Farsani, D., Breda, A., & Sala‑Sebastià, G. (2022). Non‑verbal interaction and students‘ visual engagement in mathematics and English classes. Acta Scientiae, 24(5), 1-26.
