Sportcoaching – Leistungssport

Die sechs Rollen einer Trainerin/eines Trainers

Die wirksame Wahrnehmung unterschiedlicher Rollen als Trainer/Trainerin ist entscheidend für den Erfolg der Athleten/Athletinnen im Leistungssport. Wie gelingt es mir, meine Athleten/Athletinnen dank differenzierter Rollen auf ihrem Weg im Leistungssport zu unterstützen? Welche Rollen stehen mir dabei zur Verfügung? Wie nehme ich diese Rollen im Training und Wettkampf bewusst und gezielt wahr?

Blog-Beiträge der Trainerbildung Schweiz (TBS)

Die Trainerbildung Schweiz (TBS) baut ihr digitales Angebot zur Unterstützung von Trainerinnen und Trainern stetig aus. Dazu publizieren wir regelmässig spannende Blog-Beiträge sowie Tipps und Tricks für Training und Wettkampf.

 Belinda Bencic und ihr Fitness-Coach Martin Hromkovic anlässlich der Olympischen Sommerspiele in Tokio. Foto: ©Keystone-sda
Partner auf und neben dem Platz: Belinda Bencic und ihr Fitness-Coach Martin Hromkovic anlässlich der Olympischen Sommerspiele in Tokio. Foto: ©Keystone-sda

Autor: Heinz Müller, Verantwortlicher Fachbereich Sportcoaching und Trainerberatung, Trainerbildung Schweiz

Eine Trainerin/ein Trainer nimmt während ihrer/seiner Arbeit mit Athletinnen und Athleten immer mehrere Rollen ein. Ein aktuelles und erfolgsgekröntes Beispiel ist das Duo Bencic/Hrmokovic. Die Top-Spielerin wurde auf dem Weg zum Olympiasieg im Tennis-Einzel in Tokyo 2020 von ihrem Lebenspartner und Konditionstrainer Martin Hrmkovic trainiert und unterstützt.

Die etwas besondere Kombination dieser zwei Rollen ist selbstverständlich nicht ein Erfolgsgarant. Dennoch dürfte es Trainerinnen und Trainern im Leistungssport (und darüber hinaus) weiterhelfen, wenn sie sich ihrer verschiedenen Rollen bewusst sind. Denn ich kann für die Ausübung meiner Tätigkeit als Trainer/Trainerin im Leistungssport sechs unterschiedliche Rollen einnehmen:

  1. Trainer/Trainerin
  2. Berater/Beraterin
  3. Coach/Coachin
  4. Wettkampfcoach/Wettkampfcoachin
  5. Leader/Leaderin
  6. Spezielle Rollen

Welche Rolle solls denn sein?

Je nach Situation, Ziel oder Setting kann ich mehrere Rollen sinnvoll miteinander kombinieren. Ich gebe in der gleichen Trainingseinheit als Trainer/Trainerin den Athleten/Athletinnen entsprechende Instruktionen für eine Übung und während diese ausgeführt wird, führe ich mit ihnen ein kurzes Einzelgespräch in der Rolle des Coaches. Ich stelle zum Beispiel eine Frage zur Übung: Was beachtest du bei der Ausführung dieser Übung?

Damit ich diese Rollen als Berufstrainer/Berufstrainerin wirksam einsetzen kann, sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  1. Was mache ich konkret in dieser Rolle?
  2. Was sollte ich können?
  3. Was ist dabei die Aufgabe des Athleten/der Athletin?
  4. In welchem Setting agiere ich in dieser Rolle?
  5. Welche Tools setzte ich ein?

Rollen-Mix = Die Ausübung mehrer Rollen zur gleichen Zeit

Übersicht. Rollen eines Trainers im Spitzensport mit Erläuterungen.
Die sechs Rollen als Trainer/Trainerin im Leistungssport. (Quelle: Müller 2021; nach Müller/Held 2017)

Um die sechs verschiedenen Rollen zu erläutern, bedienen wir uns der Symbolik des Hutes. Denn ein Trainer/eine Trainerin trägt während seiner/ihrer Tätigkeit immer verschiedene Hüte. Die Kunst ist es, zu wissen, welchen Hut ich wann anziehen oder ob ich gar verschiedene Hüte gleichzeitig tragen soll. Oftmals hilft es auch, auf das Bauchgefühl zu hören und in die eigene Intuition zu vertrauen.

Rolle Trainer/Trainerin

Symbolbild: rotes Cap
  • Ich instruiere
  • Ich bilde aus
  • Ich beurteile
  • Ich fordere angemessen
  • Ich kontrolliere und korrigiere
  • Ich gebe Feedback
  • Ich lobe und tadle

Mit meinem sportspezifischen und sportwissenschaftlichen Fachwissen, meiner Erfahrung und trainingswissenschaftlicher Methodenkompetenz trainiere ich die Athleten/Athletinnen in einem zielgerichteten Prozess. Der Athlet/die Athletin versucht die Trainingsziele zu erreichen indem er/sie sich idealerweise voll einbringt, umsetzt, anwendet und ausprobiert. Dabei gilt es mit respektvoller Kommunikation die psychischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenzerleben und Zugehörigkeit zu berücksichtigen.

Tool: Feedback-Regeln

  • Offen und ehrlich
  • Konkret
  • Klar und deutlich
  • Achtsam und angemessen
  • Konstruktiv
  • Ich-Botschaften
  • Lösungsorientiert

Rolle Berater/Beraterin

Symbolbild: gelbes Cap
  • Ich gebe Tipps
  • Ich unterstütze
  • Ich schlage vor
  • Ich initiiere
  • Ich bringe meine Erfahrung ein
  • Ich gebe Ratschläge

Ich nutze meine Erfahrung, meine Sozialkompetenz und allenfalls mein Netzwerk, um den Athleten/die Athletin situationsgerecht und lohnend zu beraten. Dabei gilt es jeweils möglichst adäquat und intuitiv zu entscheiden, welche Informationen ich den Athleten/ Athletinnen in welcher Dichte zur Verfügung stelle. Der Athlet/die Athletin hört zu, nimmt auf, denkt mit und versucht aufgrund der Beratung die entsprechenden Tipps nachfolgend umzusetzen. Hier ist eine Feedbackschlaufe unumgänglich: War meine Beratung zielführend? Inwiefern war meine Beratung nützlich? Konnte mein Athlet/die Athletin die Tipps umsetzen? Was ist mir gelungen? Was könnte ich das nächste Mal noch besser machen?


Rolle Coach/Coachin

Symbolbild: grünes Cap
  • Ich frage
  • Ich frage nach
  • Ich höre aktiv zu
  • Ich paraphrasiere
  • Ich verbalisiere
  • Ich lasse sprechen
  • Ich coache lösungsorientiert

In der Rolle als Coach lasse ich den Athleten/die Athletin denken, reflektieren, entwickeln und «arbeiten». Ich nutze dabei die Kunst des Fragens. Wenn ich möchte, dass sich der Athlet/die Athletin mit der Lösung beschäftigt, stelle ich eine entsprechend lösungsorientierte Frage: Wie kannst du mehr davon tun, was schon geklappt hat?

Entscheidend ist das Involvement der Gedanken, Erfahrungen, Ideen und Emotionen der Athleten/Athletinnen. Im Fokus steht die Entwicklung und Optimierung der Selbststeuerung, um letztlich wirksam und erfolgreich autonom Handeln zu können. Dabei versuche ich als Coach/Coachin die Ressourcen und Stärken des Athleten/der Athletinnen zu aktivieren und lösungsorientiert zu coachen.

Coaching is the way to empowering people to achieve what they want to achieve!

(Quelle unbekannt)

Tool: Fragetechniken  

Ausrichtung der FrageBeispiel
LösungWas hast du gemacht, dass es geklappt hat?
VerhaltenWelches Verhalten kann die Situation verbessern?
UnterschiedWas war heute besser als gestern?
BewertungWie bist du mit dem Training zufrieden?
VeränderungWas hast du versucht zu ändern?
ParadoxWas müsste passieren, dass es noch schlimmer wäre?
WunderfrageWenn über Nacht ein Wunder geschieht, woran würdest du das merken?
AussensichtWas würde dein Mitspieler zu deiner Leistung sagen?
SkalierungWie schätzt du deine Leistung auf einer Skale von 1 – 10 ein?
UrsacheWarum hast du es so gemacht?
GedankenWas denkst du?
EmotionWie fühlst du dich dabei?

Rolle Wettkampfcoach/Wettkampfcoachin

Symbolbild: hellblaues Cap
  • Ich unterstütze
  • Ich bin zuversichtlich
  • Ich strahle Vertrauen aus
  • Ich spreche klar und lösungsorientiert
  • Ich entscheide (letztlich)
  • Ich beruhige oder aktiviere adäquat
  • Ich briefe und debriefe

In der Rolle des Wettkampfcoaches setzte ich meine Kompetenzen, Erfahrungen und Intuition in den Dienst des Athleten/der Athletin, damit dieser/diese sein ganzes Potential im entscheidenden Moment ausschöpfen kann. Ich nehme wahr, was die Athleten/Athletinnen vor, während und nach dem Wettkampf zur Leistungserbringung von mir als Unterstützung benötigen. Ich bespreche vor dem Wettkampf mit dem Athleten/der Athletin alle entsprechenden Schritte und Vorgehensweisen bezüglich der leistungsbestimmenden Faktoren, welche beeinflussbar sind. Ziel bleibt der flexible Umgang mit den Herausforderungen und der Komplexität des Wettkampfgeschehens. Dabei nutze ich Briefings, Pausen, Timeout’s, Hot-Debriefings und Debriefings zum Coaching hin zur bestmöglichen Leistung und deren Evaluation.

Tool Debriefing-Zyklus

Grafik: Debriefing-Zyklus

Rolle Leader/Leaderin

Symbolbild Cap
  • Ich fördere
  • Ich inspiriere
  • Ich blicke voraus
  • Ich manage
  • Ich entscheide
  • Ich leite

In der Rolle als werte- und zielorientierter Leader/Leaderin agiere ich mit Begeisterung (Pathos), überzeuge mit meiner Klugheit (Logos) und arbeite mit hohem Verantwortungsbewusstsein (Ethos). Ich kommuniziere offen, direkt, adressatengerecht und gewinnendbringend. Ich führe mit allen Beteiligten regelmässig Gespräche, rege zur Selbstverantwortung an und sorge für eine wertschätzende Atmosphäre in der Zusammenarbeit mit den mir anvertrauten Menschen. Ich sorge für bestmögliche Rahmenbedingungen zur Leistungsentwicklung für die Athleten/Athletinnen und für den ganzen Staff. Ich bin in der Lage meine Führungsaufgaben gemäss den Prinzipien der wirksamen und verantwortungsvollen Führung unter Anwendung der entsprechenden Werkzeuge wahrzunehmen.

Grafik Wirksame Führung
Grundsätze wirksamer Führung (nach Malik 2000)

Spezielle Rollen

  • Ich bin mir der speziellen Rollen bewusst (z.B Partner/Partnerin und Trainer/Trainerin)
  • Ich kommuniziere klar und transparent
  • Ich bevorzuge niemanden
  • Ich meistere Komplexität
  • Ich agiere verständnisvoll

Aufgrund von persönlichen, familiären oder beruflichen Konstellationen kann es wie beim Beispiel von Martin Hromkovic, dem Partner von Belinda Bencic vorkommen, dass ich als Trainer/Trainerin gleichzeitig mehrere Rollen einnehme. Hier eine Auflistung einiger möglicher Konstellationen:

  • Ich bin Trainer/Trainerin und Vater/Mutter meines Athleten/meiner Athletin
  • Ich bin Trainer/Trainerin und Lebens-Partner/-Partnerin meines Athleten/meiner Athletin
  • Ich bin Nationaltrainer/Nationaltrainerin und zudem Heimtrainer/Heimtrainerin eines Athleten/einer Athletin
  • Ich bin Clubtrainer und Mitglied der Selektionskommission des Verbandes
  • Ich bin Regionalstützpunkt-Leiter/Leiterin und Clubtrainer/Clubtrainerin
  • Weitere…

Spezielle Rollen-Konstellationen bergen Chancen und Risiken zugleich. Als Chance kann die Nähe zum Menschen und die Kenntnisse bezüglich seiner Verhaltensweisen genannt werden. Als Risiken könnten Bemerkungen und Vorwürfe bezüglich der Bevorteilung oder Benachteiligung vorkommen.

Deshalb ist es wichtig spezielle Rollen transparent zu kommunizieren und im Sinne eines Commitments gewünschte Klarheit unter allen Beteiligten zu schaffen. Im Fall von Martin Hromkovic/Belinda Bencic scheint von aussen betrachtet die Wahrnehmung der Rollen Konditionstrainer und Partner bestens geklappt zu haben!


Fazit

  • Ich kann als Trainer/Trainerin im Leistungssport unterschiedliche Rollen wahrnehmen
  • Die bewusste Wahrnehmung der Rollen leistet einen wesentlichen Beitrag zu meiner Wirksamkeit als Trainer/Trainerin
  • Meine Rollenvielfalt ermöglicht es den Athleten/Athletinnen als Mensch und Athlet zu wachsen und sich weiter zu entwickeln
  • In der Rolle als Coach/Coachin stelle ich bewusst Fragen, damit der Athlet/die Athletin eigene Beiträge zum Fortschritt und zur Lösung beitragen kann
  • Die Nutzung entsprechender Tools unterstützt meine Effektivität und Effizienz innerhalb einer Rolle

Literatur