Sportpsychologie

Wenn die Angst vor dem Versagen stärker ist als die Zuversicht auf Erfolg

Angst vor Fehlern, Scham, Kritik oder das Gefühl, andere zu enttäuschen, kann Athletinnen und Athleten in entscheidenden Momenten daran hindern, ihr Potenzial auszuschöpfen. Dieser Beitrag zeigt, wie Trainerinnen und Trainer Versagensangst erkennen und was sie tun können, um diese zu vermindern.

Kniende Tennisspielerin fasst sich an den Kopf.

Autorin: Manuela Müller (Verantwortliche Fachbereich Sportpsychologie und Coach Developer), Trainerbildung Schweiz

Kennst du das Gefühl als Trainer/-in, wenn du spürst: deine Athletin oder dein Athlet bringt alles mit – physische Voraussetzung, optimale Technik und Taktik, Disziplin, Willenskraft und das Streben nach Erfolg. Er/sie ist bereit! Doch im entscheidenden Moment musst du hilflos mitansehen, wie dein Schützling am Druck zerbricht. Nichts geht mehr. Der verdiente und ersehnte Erfolg rückt in weite Ferne.

Genauso erlebt es Nina mit Theo. Er ist 17 Jahre alt und gehört zu den grössten Talenten im Schweizer Tennissport. Technisch saubere und präzise Schläge gehören zu seinen Stärken und im Match überzeugt er mit Mut, Beharrlichkeit und Cleverness. Doch bei den beiden letzten Turnieren fiel es ihm schwer, seine Leistung im Match abzurufen. Sobald Theo den ersten Service spielt, verändert sich alles. Die Schläge werden vorsichtiger, das Zittern in den Händen stärker, die Gedanken wandern zum Endspielstand: die Fehler häufen sich.

Theo weiss genau: er kann mehr. Doch im Match gelingt es ihm nicht seine Stärke auszunutzen. Nach der Niederlage ärgert er sich tagelang, ist frustriert. Je näher das nächste Turnier rückt, desto stärker wachsen seine Sorgen: «Was, wenn ich wieder nicht gut spiele? Dann enttäusche ich meine Trainerin und meine Eltern – und die Selektion für das höhere Kader bleibt vielleicht aus…»

Was Theo erlebt, kennen viele Athleten/-innen in allen Sportarten: Sie erleben Versagensangst (fear of failure). In entscheidenden Momenten können sie ihre optimale Leistung kaum abrufen – ein Phänomen, das als choking under pressure bekannt ist.

Versagensangst bedeutet sowohl Angst vor dem Verlieren als auch vor den negativen Folgen: Scham, Kritik, Enttäuschung oder Verärgerung wichtiger Bezugspersonen, Zweifel am eigenen Können oder Unsicherheit über die sportliche Zukunft.


Die fünf Dimensionen von «fear of failure» (Versagensangst)

grafik: Die fünf Dimensionen von «fear of failure» (Versagensangst)

Die Furcht vor den negativen Konsequenzen beim Scheitern wird in fünf weitere Subdimensionen aufgeteilt (Conroy, 2001).

  • Fear of shame and embarrassment: Angst vor Scham und Peinlichkeit, verbunden mit einer Herabsetzung der eigenen Person.
  • Fear of devaluing one’s self-estimate: Angst vor der Abwertung des Selbstwertes und der Notwendigkeit, das eigene Selbstbild zu korrigieren.
  • Fear of an uncertain future: Angst vor einer ungewissen Zukunft und dem Verlust künftiger Möglichkeiten.
  • Fear of important others losing interest: Angst, dass wichtige Bezugspersonen das Interesse verlieren und damit sozialer Wert und Einfluss schwinden.
  • Fear of upsetting important others: Angst, Bezugspersonen zu verärgern, die nach einem Misserfolg missbilligend reagieren oder ihre Zuneigung entziehen könnten.

Woher kommt die Angst?

Die Ursachen von Versagensangst sind vielfältig, doch die Forschung zeigt klare Schwerpunkte (Taylor et al.,2023):

  • Eltern prägen bereits im Kindesalter (5–9 Jahre). Ihre Reaktionen auf den Erfolg und Misserfolg ihrer Kinder projizieren diese auf ihren Umgang mit sich selbst (Conroy et al., 2017); erleben Eltern selbst Versagensangst, übertragen sie dies oft auf ihre Kinder (Elliot & Thrash, 2004).
  • Trainer/-innen: Ein Umfeld, das Fehler nicht als Lernchance begreift oder Leistung über alles stellt, fördert Ängste.
  • Peers: Abwertende Kommentare oder Spott von Teamkolleg/-innen verstärken die Angst vor Scham und Peinlichkeit.
  • Athleten/-innen mit starkem Perfektionsdrang sind besonders gefährdet Versagensängste zu erleben.

Die Ursachen sind das eine – doch was löst Versagensangst im Moment wirklich aus? Jegliche Form von Stress oder Druck kann sie verstärken (Lazarus & Folkman, 1984): selbst auferlegter Leistungsdruck, Erwartungen von Drittpersonen (besonders Eltern), eine schwache Leistung im letzten Wettkampf oder eine schwierige Ausgangslage (Rückstand, ungünstige Startposition usw.). Obwohl viele Athlet/-innen ähnliche Ursachen und Situationen erleben, reagieren sie trotzdem individuell.

Der Unterschied liegt darin, wie der Druck bewertet wird und wie die eigenen Ressourcen eingeschätzt werden. Wird eine Situation als Herausforderung gesehen oder die eigenen Fähigkeiten als ausreichend erlebt, bleibt der Stress meist gering – oder entsteht gar nicht.

Kritisch wird es, wenn Perfektionismus auf Angst vor Scham trifft und zusätzlich Druck von Trainer/-innen wahrgenommen wird (Sagar & Stober, 2009). Wer lange mit Versagensangst kämpft, riskiert gar den Rückzug aus dem Sport. Wobei bei wenigen Athleten/-innen die Angst auch als Motivator wirken kann. (Sagar et al., 2010).

👉 Reflexion für deine Trainings

  • Welches Klima schaffst du?
  • Wie gehst du mit Fehlern um?
  • Und erzeugst du – unbeabsichtigt – Druck?

Erkennen von Versagensangst

Versagensangst zeigt sich vielfältig. Athlet/-innen berichten von Symptomen wie Anspannung, Herzklopfen, Zittern oder Magenproblemen. Gedanken, die in die Vergangenheit (Gegen diesen Gegner habe ich immer verloren.) oder Zukunft (Was, wenn ich verliere?) schweifen und um das Resultat kreisen. Konzentration und Selbstvertrauen sinken, stattdessen dominieren Sicherheitsdenken und Vermeidungsziele (Ich darf auf keinen Fall verlieren.). Offenheit und Risikobereitschaft verschwinden, die Frustration wächst. Einige Athlet/-innen zeigen weniger wünschenswertes Sozialverhalten und verschliessen sich gegenüber neuen Ideen von Trainer/-innen. Oft führt die Angst tatsächlich zum Versagen in Drucksituationen (choking under pressure, DeCaro et al., 2011).

Ablenkungstheorie

Sorgen und Ängste um das Ergebnis und die Belohnung (von Anderen oder sich Selbst) brauchen wertvolle kognitive Ressourcen. Somit werden Aufgaben beeinträchtigt, die eine hohe Konzentration und Aufmerksamkeitskontrolle erfordern (z.B. Lesen des Gegners, Wahrnehmung wichtiger Informationen für die Anpassung einer Bewegungsausführung…).

Theorie der expliziten Überwachung

Punktrichter, Publikum oder sonstige Beobachter verleiten uns dazu, prozedurale, fast automatische Fähigkeiten (z.B. ein Service im Tennis) Schritt für Schritt kontrollieren zu wollen. Diese Überanalyse stört den natürlichen Bewegungsrhythmus.  

Erlebt ein Athlet/-in beides, spricht man von «doppeltem Schlag» (Pressure’s Double Whammy) (Beilock et al., 2007).

👉 Tipps wie du als Trainer/-in Versagensangst erkennen kannst

Beobachte das Verhalten

  • Übermässige Anspannung oder Nervosität
  • Ungewohntes Zittern
  • Wenig Risikobereitschaft (auf Sicherheit spielen)
  • Verhaltene Bewegungsausführung
  •  Abschweifende Konzentration

Sprich mit deinen Athlet/-innen in einem ungestörten, zeitnahen Setting über ihre Gedanken und Gefühle. Leitfragen könnten sein:

  • Welche Gedanken hattest du? Welche hinderten dich daran, dein automatisiertes Können abzurufen?
  • Welche Gedanken bezüglich Endresultats und möglichen Konsequenzen hast du wahrgenommen?
  • Welches Gefühl löst eine Niederlage bei dir aus? Welchen Einfluss hat sie auf dein Selbstbild und oder deine Karriere?
  • Weshalb könnten wichtige Bezugspersonen das Interesse an dir verlieren und was würde dies bedeuten?
  • Wen könntest du enttäuschen, weshalb und was löst dies bei dir aus?

Sportarten- und Geschlechterunterschiede

Laut Correira et a. 2017 zeigen Studien interessanterweise kaum Unterschiede zwischen Sportarten – die generelle Versagensangst kann überall auftreten, unabhängig von Einzel- oder Teamsportarten. Unterschiede gibt es jedoch bei Geschlecht und Alter:

  • Frauen zeigen häufiger als Männer Angst vor Scham, Peinlichkeit und Selbstwertverlust, aber weniger vor einer ungewissen Zukunft.
  • Teamsportler/-innen fürchten stärker, wichtige Bezugspersonen zu enttäuschen oder ihr Interesse zu verlieren.
  • Männer leiden seltener an genereller Versagensangst (Taylor et al. 2023).
  • Frauen sind besonders zwischen 16 und 18 Jahren betroffen (im Vergleich zu 19.- bis 27-jährigen). Bei den Männern ist dies gerade umgekehrt (Taylor et al., 2023).

Was Trainer/-innen konkret tun können

Trainer/-innen stehen in engem Kontakt mit ihren Athlet/-innen und können Versagensangst sowohl verstärken als auch vermindern. Entscheidend ist, Fehler als Lernchance zu sehen (Lazarus & Folkman, 1984): Wenn Entwicklung wichtiger ist als das Resultat, sinkt der Druck. Hilfreich ist auch, die Situation als Gelegenheit zum Wachsen zu deuten. Ebenso zentral: Vertrauen aufbauen. Gespräche über Druck und Ängste schaffen Nähe und vermitteln Athlet/-innen, dass sie ernst genommen werden. Ebenso lassen sich Strategien im Umgang mit Versagensangst konkret ins Training integrieren.

👉 Tipps für dein konkretes Verhalten, um Versagensangst zu reduzieren

  • Achte auf deine Kommunikation in der Deutung einer wichtigen Situation. Formuliere bei Bedarf um: «Das ist eine Gelegenheit zu wachsen.»
  • Definiere mit den Athleten/-innen immer wieder ihre Stärken und Ressourcen sowohl sportlich aber auch als Mensch.
  • Siehe Fehler als Lernchance: Achte auf deine Emotionen und Wortwahl. Sei direkt und ehrlich, bleib aber positiv und zuversichtlich. Gib konstruktives, handlungsorientiertes Feedback.
  • Vereinbare mit den Athleten/-innen auch an wichtigen Anlässen Prozessziele zu Technik, Taktik und oder Verhalten.
  • Gib Hinweise für die geforderte Handlung und den nächsten kleinen, beeinflussbaren Schritt.
  • Ermutige die Athleten/-innen ihre intrinsische Motivation und Freude am Sport zu leben.
  • Schaffe eine vertrauensvolle Beziehung: übe dich in Empathie, stelle Fragen, höre zu und rege zur Lösungsfindung an.
  • Sprich mit deinen Athleten/-innen über ihre Gedanken, Sorgen und Ängste. Nimm sie ernst und akzeptiere, dass dies ihre Gedanken sind, auch wenn du sie nicht nachvollziehen kannst.
  • Bringe den Athleten/-innen leistungsunabhängige Wertschätzungen entgegen.
  • Erarbeite mit deinen Athleten/-innen Strategien für den Umgang mit Angst oder motiviere sie, dies mit einem/-r Sportpsychologen/-in zu tun.

Strategien im Umgang mit Versagensangst

Die Reaktion oder der Umgang mit Versagensangst ist individuell. Grundsätzlich unterschiedet die Forschung drei Bewältigungsstrategien (Sagar et al., 2010).

  • Problemorientiert: Der Stressor wird direkt angegangen, z.B. durch gezieltes Mental- und oder Techniktraining, Matchpläne oder Wenn-Dann Strategien.
  • Emotionsorientiert: Diese Strategien helfen oft dann, wenn die Situation nicht veränderbar ist. Dazu braucht es Akzeptanz, positive Selbstgespräche, Atemübungen oder soziale Unterstützung.
  • Vermeidungsorientiert: Athleten/-innen weichen Drucksituationen aus oder verdrängen sie. Das entlastet kurzfristig, verstärkt aber langfristig die Angst.

Studien zeigen, dass viele Athleten/-innen aus Unsicherheit vor allem auf langfristig ineffiziente Vermeidungsstrategien setzen.

An dieser Stelle lohnt es sich. nochmals auf Theo zurückzublicken: Sein Beispiel zeigt exemplarisch, wie stark Versagensangst die sportliche Entwicklung hemmen kann – und wie wichtig das Umfeld ist. Angst vor Fehlern und Enttäuschungen entsteht nicht im Vakuum, sondern im Zusammenspiel von Erwartungen, Druck und Selbstwahrnehmung. Trainer/-innen haben hier eine Schlüsselrolle: Sie können Ängste verstärken oder durch ein unterstützendes Klima abbauen.

Werden Fehler als Lernchance und Drucksituationen als Herausforderung verstanden, wird Vertrauen aufgebaut und beginnen Athleten/-innen über ihre Gedanken und Gefühle zu reflektieren und sprechen, entsteht ein Fundament, auf dem Leistung wachsen kann.

So kann auch Theo – und mit ihm viele andere Athletinnen und Athleten – Schritt für Schritt lernen, seine Stärken im entscheidenden Moment zu entfalten und wieder mit Freude und Mut auf den Platz zu gehen.


Literatur und Quellen

  • Beilock S. L. & Gray R. (2007). Why do athletes choke under pressure. In G. Tenenbaum & Eklund R. C. (Eds.), Handbook of Sport Psychology (3rd ed.), 425-444. Hoboken, NJ: John Wiley & Sons.
  • Conroy D. E. (2001). Progress in the development of a multidimensional measure of fear of failure: The Performance Failure Appraisal Inventory (PFAI). Anxiety, Stress, and Coping 14(4):431-452.
  • DOI: 10.1080/10615800108248365
  • Conroy, D. E. (2017). Achievement motives. In A. J. Elliott, C. S. Dweck, & D. S. Yeager (Eds.), Handbook
  • of competence and motivation: Theory and application (2nd ed)., 25–42. Guilford Press
  • Correira M., Rosado A., Serpa S. & Ferreira V. (2017). Fear of failure in athletes: Gender, Age and type of sport differences. Revista Iberoamericana de Psicología del Ejercicio y el Deporte. 12(2):185-193, DOI: 10.1080/17461390500154159.
  • DeCaro M., Thomas, R. D., Albert, N. B., Beilock S. L. (2011). Choking under pressure: multiple routes to skill failure. Journal of Experimental Psychology: General, 140(3), 190-406. DOI: 10.1037/a0023466
  • Elliot, A. J., & Thrash, T. M. (2004). The Intergenerational Transmission of Fear of Failure. Personality and Social Psychology Bulletin, 30(8), 957–971. DOI: 10.1177/0146167203262024
  • Lazarus, R., & Folkman, S. (1984). Stress, Appraisal, and Coping. New York: Springer.
  • Sagar S. S., Busch B. K. & Jowett S. (2010). Success and Failure,
  • Fear of Failure, and Coping Responses of Adolescent Academy Football Players, Journal of
  • Applied Sport. Psychology, 22:2, 213-230, DOI: 10.1080/10413201003664962
  • Sagar S. S. & Stoeber J. (2009). Perfectionism, fear of failure, and affective responses to success and failure: The central role of fear of experiencing shame and embarrassment. Journal of Sport & Exercise Psychology, 31(5), 602-627. DOI: 10.1123/JSEP.31.5.602.
  • Taylor S., Eklund R. & Arthur C. (2023). Fear of failure in sport,
  • exercise, and physical activity: a scoping review, International Review of Sport and Exercise.
  • Psychology, 16:1, 500-528, DOI: 10.1080/1750984X.2021.1901299