Leadership

Führen in Veränderungen

Menschen in Veränderungen zu begleiten gehört zu den herausfordernden Führungsaufgaben. Organisationen scheitern regelmässig mit der Implementierung von Neuem. Dabei sind Menschen von Natur aus neugierig. Doch wenn es um persönliche Veränderungen geht, tun wir uns schwer. Und wenn die Veränderungen fremdbestimmt sind noch viel mehr. Es stellt sich die Frage, wie kannst du als Führungsperson Menschen erfolgreich durch Veränderungen begleiten? Reicht es, wenn du den Sinn erklärst, als Vorbild vorangehst und die Betroffenen so früh als möglich involvierst?

Blog-Beiträge der Trainerbildung Schweiz (TBS)

Die Trainerbildung Schweiz (TBS) baut ihr digitales Angebot zur Unterstützung von Trainerinnen und Trainern stetig aus. Dazu publizieren wir regelmässig spannende Blog-Beiträge sowie Tipps und Tricks für Training und Wettkampf.

Symbolbild: Mann liest Zeitung.
Die Welt hat sich schon immer verändert – neu ist das Tempo der Veränderungen. Bild: Gerd Altmann, Pixabay

Autor: Andreas Schwaller, Verantwortlicher Fachbereich Leadership, Trainerbildung Schweiz

Im Rahmen meines Engagements als Nationaltrainer und Chef Leistungssport bei Swiss Curling haben wir im Team Leistungssport nach einem Jahr intensiver Analyse entschieden, das bestehende Leistungs- und Selektionskonzept komplett zu verändern. Dass das nach einem Olympiazyklus geschieht, ist nicht ungewöhnlich. Für viele überraschend war, dass es nach einer erfolgreichen Phase erfolgte und grundlegende Veränderungen brachte. Wir waren überzeugt, dass das bestehende Konzept für die Vergangenheit gepasst hat, jedoch unter diesen Voraussetzungen in Zukunft Erfolge ausbleiben könnten.

Wir änderten fast alles. Und das bedeutete für etwa 80% der Athleten, dass ihre Chancen je an einer WM dabei sein zu können markant sanken. War früher der Schweizer Meistertitel die einzige Hürde für die WM Selektion, kamen neu diverse weitere Leistungskriterien zur Anwendung. Reichte bis anhin eine gute Form über eine Woche, wurden neu Leistungen über das ganze Jahr beurteilt.

Im Spannungsfeld zwischen Akzeptanz und Widerstand

Hört sich logisch an? Für mich ja. Aber noch lange nicht für alle Betroffenen – und eine meiner Aufgaben war es, diese Veränderungen den Athletinnen und Athleten zu kommunizieren. Für die Topteams waren es die gewünschten Schritte in die richtige Richtung, während zahlreiche Athleten mit Unverständnis und Widerstand reagierten. Ich zeigte Verständnis für die persönlichen Interessen, ohne jedoch das Gesamtinteresse von Swiss Curling zu gefährden. Mir war klar: Um die Glaubwürdigkeit der Neuausrichtung zu erhöhen, müssen Resultate her, und zwar schnellstens.

«Auf Veränderungen zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun,
ist wie am Bahnhof stehen und auf ein Schiff zu warten».

albert einstein

Veränderungen gab es schon immer, nicht aber in dem Tempo wie heute. Die Gründe für den rasanten Anstieg sind vielfältig: Digitalisierungen (die Parkuhr via App zu bedienen ist super praktisch), neue Technologien (auf das autonome Fahren bin ich gespannt) und laufend neue Produkte (wie war das ohne Mobiltelefone?) sind die Beschleuniger. Laufend verändern sich auch die Kundenbedürfnisse (jetzt bestellen und am liebsten gleich geliefert) und teilweise werden die Arbeiten an Kunden übertragen (Selfscanning im Supermarkt gefällt mir). Weitere Gründe für Veränderungen sind Reorganisationen, neue Arbeitsformen, Ressourcenknappheit, Umwelt, Regulatoren uvm.

Veränderungen auch in erfolgreichen Phasen

Auch die Welt des Sports ändert sich in einem noch nie dagewesenen Tempo und erlebt laufend Veränderungen. Entscheidungsträger sind gut beraten, wenn sie die Beweggründe und das Zielbild der Veränderungen allen Betroffenen in einfachen Worten erklären können.

Was sich in der Theorie einfach anhört, ist in der Praxis eine Herkulesaufgabe, denn die Interessen innerhalb eines Verbands sind so unterschiedlich wie Stein und Besen. Und Erneuerungen in erfolgreichen Zeiten zu lancieren, ist eine grössere Herausforderung, als wenn du vom Tabellenende winkst.


«People change for a reason».

unbekannt

Leitfaden zur Begleitung individueller Verändungsprozesse

Es gehört zum Alltag der Trainer Neues zu vermitteln, wie Technik und Taktik. Wie gehst du dabei vor? Startest du direkt mit Übungen oder erklärst du den Sinn? Ich orientiere mich am «Prosci ADKAR®-Modell, welches als Leitfaden für Veränderungen auf individueller Ebene dient.

AwarenessBewusstsein für Veränderung
DDesireWunsch an Veränderung mitzumachen
KKnowledgeWissen für Veränderung aneignen
AAbilityFähigkeiten anwenden und Können zeigen
RReinforcementVerankerung, um Veränderung nachhaltig zu etablieren
Quelle: «The Prosci ADKAR®»-Modell

Im Curlingsport entwickelt sich die Wischtechnik laufend. Wurde vor 50 Jahren noch mit den «Cornbrooms» gewischt (eine Art Reisbesen), kam die Phase, als die Hände etwa eine Handbreite vom Besenkopf entfernt und der Oberkörper und die Beine stark nach unten gebeugt waren. Heute sind die Hände etwa 40 Zentimeter vom Besenkopf weg und Beine sowie Oberkörper ziemlich aufrecht. Die unterschiedlichen Techniken erfordern andere Körperhaltungen und angepasstes Training.

Das ADKAR®-Modell anwenden, heisst in diesem Fall den Athleten zuerst die Beweggründe für die neue Technik zu erklären mit dem Ziel, dass dadurch der Wunsch zur Veränderung geweckt wird. Nun wird das Wissen vermittelt, bevor es in den Kraftraum und auf das Eis geht, um die Fähigkeiten zu entwickeln. Und die letzte Phase bedeutet: hartnäckig sein und laufend optimieren, so dass das Neue nachhaltig verankert wird. Das gelingt, wenn die Athleten realisieren, dass die neue Technik zum Erfolg verhilft.


Justin Hausherr und Marco Hefti vom Curling Club Glarus demonstrieren die Wischtechnik aus dem Jahr 2010, als die Hände nahe beim Besenkopf und Beine sowie Oberkörper stark gebeugt waren.
Dieses Bild zeigt die heutige Wischtechnik mit aufrechtem Oberkörper, Hände etwa 40 Zentimeter vom Besenkopf entfernt und die Beine sind nur leicht gebeugt.

Ein Auge auf das grosse Ganze

Neben meinem Engagement bei der Trainerbildung Schweiz begleite ich Firmen in Veränderungsprozessen und doziere «Change-Management» an der Fachhochschule Graubünden. Während ich das ADKAR®-Modell vor allem im Dialog mit Menschen nutze, habe ich für das «Big Picture» von Veränderungen das Tool der «Vier Veränderungsmacher» entwickelt (siehe Grafik).

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Grafik: Die vier Veränderungsmacher, Andreas Schwaller
  • In der Phase «Veränderungen verstehen» geht es darum, ob sich die Organisation bewusst ist, was Veränderungen für Menschen bedeuten und realisiert, dass der Faktor Mensch die grössten Herausforderungen mit sich bringt.
  • Was nützt dir ein ausgeklügeltes neues Spielsystem und die Athleten können oder wollen es in der Praxis nicht umsetzen? «Veränderungen vorbereiten» beruht auf einer detaillierten Analyse. Einerseits, um welche Art von Veränderungen es sich handelt und andererseits, was die Veränderungen für die betroffenen Menschen bedeuten wird. Stell dir vor, du arbeitest über zehn Jahre mit viel Herzblut am Bankschalter und nun werden diese geschlossen und du bekommst eine Aufgabe im Back-Office. Eine solche Veränderung ist nicht gleich zu begleiten als wenn sich die Schalteröffnungszeiten verändern.
  • Vor der Phase «Veränderungen vollziehen» sind die betroffenen Menschen über die Veränderung zu informieren. Diese Information ist akribisch vorzubereiten. Denn sie entscheidet darüber, wie die Veränderungen aufgenommen werden. Akribisch heisst, dass du dich in die Lage der Betroffenen versetzt und dir überlegst, wie du auf mögliche Fragen antworten wirst. Auch im Sport passiert es, dass Athleten von Teamveränderungen aus den Medien erfahren und als Grund irgendwelche fadenscheinige Erklärungen dienen.
  • In der vierten Phase geht es darum, «Veränderungen zu verankern». Verankern bedeutet, dass das neue Verhalten nicht nur gelegentlich gezeigt wird, sondern zur neuen Gewohnheit wird.

Bei der Entwicklung dieses Tools dienten mir meine Praxiserfahrungen, meine Ausbildungen zum Thema «Führen in Veränderungen» sowie diverse Literatur, wie z.B. die Mäusestrategie oder das 8-Stufen-Modell von Kotter.

«Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist».

Henry Ford

Lebe Leadership vor

Das ADKAR®-Modell und das Tool der 4-Veränderungsmacher sind nützliche Hilfsmittel. Entscheidend jedoch ist das Verhalten der Entscheidungsträger. Dazu eine Übersicht der für mich 11 (weil ich Solothurner bin) wichtigsten Führungsverhalten:

  1. Erkläre den Sinn für das Neue.
  2. Erläutere das Zielbild und kläre was bleibt (das gibt Sicherheit) und was wird neu.
  3. Involviere die Betroffenen so früh als möglich und lass sie mitgestalten.
  4. Kommuniziere transparent, laufend und in einfachen Worten und Bildern.
  5. Vertraue den Menschen.
  6. Schaffe Ressourcen, um das Neue zu lernen (sonst flüchten sie ins Tagesgeschäft).
  7. Befähige die betroffenen Personen.
  8. Zeige Wertschätzung, wenn das Neue angenommen wird und Verständnis bei Fehlern.
  9. Bleibe hartnäckig und stell sicher, dass die Veränderung nachhaltig verankert wird.
  10. Sorge dafür, dass die Menschen rasche (innert einer Woche) Erfolge erzielen und den Nutzen erfahren.
  11. Lebe die Veränderung als Vorbild (Alle im Grossraumbüro und ich im Einzelbüro wird schwierig).

«Change before you have to».

Jack Welch
Veränderungen müssen durch Entscheidungsträger vorgelebt werden.

Beweggründe detailliert erklären

Es sind nun zehn Jahre her, seit Swiss Curling diese Veränderungen eingeleitet hat. Wenn der sportliche Erfolg auf internationaler Ebene als Gradmesser dient («es müssen Resultate her, und zwar schnellstens»), dann waren wir sehr erfolgreich. Das sahen und sehen wohl heute noch nicht alle betroffenen Athleten gleich.

Ich würde nochmals einen ähnlichen Weg gehen, jedoch noch mehr Zeit in die Kommunikation investieren und die Beweggründe erklären. Vor allem den Athleten, die Widerstand leisten, um danach den Fokus auf die Athleten zu richten, die den neuen Weg mitgehen wollen.

«Everyone thinks of changing the world but no one thinks of changing himself».

Leo N. Tolstoy (1828-1910), russischer Schriftsteller