Athletik – «velocity based»-Training

Geschwindigkeitsmesser im Krafttraining

«Wie mache ich meine Athletinnen und Athleten noch schneller?» Eine Frage, mit der sich Athletiktrainer Adrian Rothenbühler seit längerer Zeit herumtrieb. Er gibt einen Einblick in seine Überlegungen und welche Erkenntnisse er beim Einsatz von Geschwindigkeitsmessern für das Krafttraining erlangt hat.

Blog-Beiträge der Trainerbildung Schweiz (TBS)

Die Trainerbildung Schweiz (TBS) baut ihr digitales Angebot zur Unterstützung von Trainerinnen und Trainern stetig aus. Dazu publizieren wir regelmässig spannende Blog-Beiträge sowie Tipps und Tricks für Training und Wettkampf.

Mann beim Hanteltraining mit Geschwindigkeitsmesser am Arm.

Autor: Adrian Rothenbühler, Verantwortlicher Fachbereich Trainingslehre-Kondition. Trainerbildung Schweiz

Ich habe es getan… ich habe mir einen Geschwindigkeitsmesser für das Krafttraining gekauft. Schon lange spielte ich mit diesem Gedanken, referierte ich doch 2017 anlässlich eines Lehrgangs über die Möglichkeiten, welche dieser «velocity based»-Ansatz für den Trainingsprozess bieten könnte. Die fehlende Zeit, mit den generierten Daten auch etwas anzufangen, hat mich davon abgehalten. Doch nun soll sich dies ändern.

Gerne gebe ich euch einen (Ein)blick in meinen Trainingsalltag und somit die direkte Umsetzung meines «velocity based»-Ansatzes.

Die Wirkung des Trainings steigern

Beim Einsatz von neuen Trainingsmethoden oder Trainingsmitteln leitet mich immer folgender Gedanke: «Wie wird das Training der Athletinnen und Athleten wirksamer?» Gerade beim Einsatz von digitalen Tools sollte immer wieder abgewogen werden, ob die erhobenen Daten wirklich zur Verbesserung des Trainingsprozesses beitragen. Somit war für mich klar: nur messen, damit gemessen wird, will ich nicht.

Der «velocity based»-Ansatz bietet verschiedene Chancen:

  • Unmittelbares und objektives Feedback von jeder Bewegung und somit jedem Training
  • Monitoring der neuro-muskulären Ermüdung, respektive der Leistungsfähigkeit
  • Abschätzung des täglichen 1RM
  • Entwicklung eines Kraftprofils
  • Steuerung des Krafttrainings über Geschwindigkeitszonen
Grafik: PBT = percent based training
PBT = percent based training

Grafik: VBT = velocity based training
VBT = velocity based training (Grafiken: www.trainwithpush.com )

In welchem Bereich möchte ich nun mit dem «velocity based»-Ansatz einen Unterschied erzielen? Der Geschwindigkeitsmesser wird meist eingesetzt, um mittlere bis leichte Lasten möglichst mit maximaler Geschwindigkeit zu bewegen (). Diese Herangehensweise entspricht für mich dem Training an der Muskelleistungsschwelle (oder Powertraining). Dies ist ein Trainingskonzept, welches schon lange existiert und durch die technologische Entwicklung eine Renaissance erlebt. Doch macht dieser Ansatz mein Training wirksamer?

Die Antwort auf diese Frage ist stark von den Voraussetzungen der Athletinnen und Athleten abhängig. Athletinnen und Athleten mit einer gut ausgeprägten Maximalkraft profitieren in geringerem Ausmass vom Ansatz des Powertrainings. Aufgrund dieser Tatsache bewege ich mich lieber in den «Extremen» (●) der Kraft-Geschwindigkeit-Kurve. Folglich steht entweder die maximale Last oder die maximale Geschwindigkeit ohne Zusatzlast (lediglich das eigene Körpergewicht) im Zentrum. Was nützt mir aber somit ein Geschwindigkeitsmesser im Krafttraining?

Anbei die Erläuterung meiner Gedanken anhand eines Beispiels:

Grafik: Erfahrungen der Athletinb.

Interpretation: Ditaji weist für ihr Alter und ihre Trainingserfahrung im Krafttraining bereits eine sehr gute Maximalkraft auf. Ebenfalls sind ihre Werte in der Explosivkraft sehr gut, insbesondere unter Berücksichtigung des Messzeitpunktes (Vorbereitungsphase)

Hohe Lasten, hohe Geschwindigkeit

Aufgrund der Voraussetzungen von Ditaji habe ich mir folgende Überlegungen für den Einsatz des Geschwindigkeitsmessers gemacht:

Das Messen der Geschwindigkeit bildet die Basis dieser Strategie. Mit dem «velocity based»-Ansatz kann ich das Training Schritt für Schritt Richtung Ziel, «hohe Lasten möglichst mit grosser Geschwindigkeit bewegen», entwickeln. Zudem erlaubt mir dieser Ansatz, die von der Tagesform abhängigen Schwankungen besser zu respektieren.

Doch dazu später mehr… zuerst muss ich mich für einen Geschwindigkeitsmesser entscheiden!

Von der Qual der Wahl

In den letzten Jahren wurde die Entwicklung von Beschleunigungs-, sprich Geschwindigkeitsmessern für das Krafttraining stark vorangetrieben. Somit befand ich mich in der der Situation: «Wer die Wahl hat, hat die Qual». Beim Auswahlverfahren leitet mich meine beschriebene Strategie. Dementsprechend benötige ich ein Gerät, welches mir die gewünschten Daten liefert.

Messung über eine Verbindung (Schnur/Kabel) zur Hantel
Messung über eine Verbindung (Schnur/Kabel) zur Hantel

Messung über einen Sensor an der Hantel
Messung über einen Sensor an der Hantel


Messung über einen Sensor am Körper
Messung über einen Sensor am Körper

Das Messsystem gedenke ich nur im Kraftraum und im Zusammenhang mit der Langhantel (insbesondere bei den Kniebeugen) einzusetzen und somit ist die Entscheidung schnell gefällt. Für mich kam nur ein Gerät mit einer Verbindung zur Hantel in Frage, da bei den anderen Geräten gewisse Fehlerquellen bei der Befestigung oder Positionsänderungen bei der Bewegung vorhanden sind.

Messgerät
Mean velocity (MV): Mittlerer Geschwindigkeitswert während der gesamten konzentrischen Phase der Übung
Messgerät.
Mean propulsive velocity (MPV): Mittlerer Geschwindigkeitswert vom Beginn der konzentrischen Phase bis die Beschleunigung der Stange kleiner als die Schwerkraft ist

Qualität hat ihren Preis

Geschwindigkeit messen ist nicht gleich Geschwindigkeit messen, diese Erkenntnis ist mein grosses Aha-Erlebnis. Bei genauerem Einlesen wird mir klar, dass die Messung der mean velocity einen besseren Zusammenhang mit der Errechnung des 1RM bietet als die mean propulsive velocity. Der Unterschied zwischen den beiden Messarten ist bei tiefen Lasten grösser als bei hohen Lasten. Bei der mean propulsive velocity-Messung liegt der Fokus auf der Startphase und somit dem Umkehrpunkt einer Bewegung. Dies könnte in meinem Beispiel durchaus interessant sein. Wie entscheide ich mich? Das Gym Aware ist für mich der Goldstandard unter den Messsystemen und dies hat seinen Preis, welchen ich für meine Anwendungen nicht bereit bin zu zahlen. Was nicht ist, kann ja noch werden.

Somit bin ich nun mit dem linearen Messgerät von Vitruve (www.vitruve.fit) für 430 CHF unterwegs.

Jetzt bin ich ready…Strategie ist klar, passendes Gerät dazu ist gekauft!

Ein Auge auf die Referenzwerte

Bevor es losgehen kann, gilt es noch eine Falle zu überwinden. Gestaltet man das Training mit Hilfe von Geschwindigkeitszonen, ist es wichtig, die richtigen Referenzwerte beizuziehen. Jede Übung weist eine andere Referenzgeschwindigkeit für das 1 RM auf.

Grafik: Mean velocity (MV
Mean velocity (MV). Quelle Grafik: Dr. Luis Sànchez Medina (CEIMD, Navarra, Spain)
Grafik: Mean propulsive velocity (MPV)
Mean propulsive velocity (MPV)

So, jetzt legen wir aber endlich los.

Drei Phasen der Laststufen

1. Herantasten – wo steht sie?

Woche 48 – Programm Kniebeugen: 6x / 5x / 4x

Grafik: Woche 48 – Resultate des Programms

Interpretation: Auf Grund dieser Messungen errechnet mir das System ein mögliches 1 RM an diesem Tag von 100kg. Ein erster Anhaltspunkt ist gesetzt.

In den nächsten Trainingseinheiten passe ich die drei Laststufen kontinuierlich gegen oben an. Die Wahl für die erste Laststufe basiert dabei auf einem Referenzwert der vorherigen Trainings und dem Abschätzen der Tagesform. Besteht ein zu grosser Unterschied zwischen diesen Werten, steigere ich die Lasten im Training defensiver, ist der Unterschied klein, gehe ich offensiver ans Werk.

Woche 51 – Programm Kniebeuge: 6x / 5x / 4x

Grafik: Woche 51 – Resultate des Programms

Interpretation: Das errechnete mögliche 1 RM an diesem Tag liegt bei 99kg. Der erste Anhaltspunkt erhärtet sich immer mehr.


2. Entwickeln – was ist möglich?

In dieser folgenden Phase versuche ich nun die Programme so zu entwickeln, dass ich meinem Ziel «hohe Lasten möglichst mit grosser Geschwindigkeit bewegen» immer wie näherkomme.

Auch hier bleibe ich meiner Strategie treu, mit einer Last ins Training einzusteigen, welche bereits in der Woche zuvor problemlos bewegt wurde.

Woche 51 – Programm Kniebeugen: 3x / 3x / 3x

Grafik: Woche 05 – Resultate des Programms

Interpretation: Bei dieser Messung erkennt man, wie stark der Bewegungsumfang die Resultate beeinflusst. Vergleicht man allerdings die Werte aus der Woche 51 mit diesen Werten, ist zu erkennen, dass die 85kg gleich schnell bewegt werden, wie zu Beginn die 75kg.


3. Performen – wo sind ihre Limiten?

Momentan befindet sich Ditaji in der Wettkampfphase. Das Krafttraining hat innerhalb der Woche den Platz gewechselt und wird nun direkt nach dem trainingsfreien Sonntag durchgeführt. Die Wiederholungszahlen werden noch einmal stark reduziert.

Woche 05 – Programm Kniebeugen: 3x / 3x

Grafik: Woche 53 – Resultate des Programms

Interpretation: Aufgepasst bei der Interpretation der Daten! Ditaji führte die zweite Serie mit einer wesentlich geringeren Bewegungstiefe aus. Vergleicht man aber die Werte mit 87.5kg aus der ersten Serie in der Woche 53 mit dieser Woche, ist ein deutlicher Unterschied (0.58 m/s zu 0.67 m/s) zu erkennen. Dieser Unterschied könnte auf den erholten Zustand und die Entwicklung der Wettkampfform zurückzuführen sein. Der Ausgangswert hat mich in diesem Training motiviert, sie die zweite Serie nicht wie geplant mit 92.5kg, sondern mit 95kg durchführen zulassen.


Konklusion

«Wie wird das Training der Athletinnen und Athleten wirksamer?» Nach diesen ersten Erfahrungen mit dem systematischen Einsatz eines Geschwindigkeitsmessers im Krafttraining bin ich überzeugt, dass das Training von Ditaji wirksamer geworden ist.

  • Ich habe ein besseres Gefühl für die Möglichkeiten (Lasten) von Ditaji
  • Mein Training wird präziser
  • Die Gestaltung der Laststufen kann auf die Tagesform abgestimmt werden
  • Ich erhalte einen Anhaltspunkt über die neuronale Ermüdung von Ditaji

Ich bin froh, dass ich es getan habe… auch wenn es etwas länger gedauert hat.

Quellen & weiterführende Literatur