Athletik – «velocity based»-Training

Methode oder Konzept?

Ist «velocity based Training» eine Trainingsmethode oder ein Trainingskonzept, das bestehende Trainingsmethoden integriert? Diese Frage veranlasste Adrian Rothenbühler seine Erkenntnisse aus der Praxis einzuordnen. Die Antwort liefert der Trainer des Jahres 2019 in diesem zweiten Teil seines Blog-Beitrags zum Training mit Geschwindigkeitsmessern.

Blog-Beiträge der Trainerbildung Schweiz (TBS)

Die Trainerbildung Schweiz (TBS) baut ihr digitales Angebot zur Unterstützung von Trainerinnen und Trainern stetig aus. Dazu publizieren wir regelmässig spannende Blog-Beiträge sowie Tipps und Tricks für Training und Wettkampf.

Mann beim Handeltraining mit Geschwindigkeitsmesser.

Autor: Adrian Rothenbühler, Verantwortlicher Fachbereich Athletik, Trainerbildung Schweiz

Nur «tun» reicht mir nicht… Nach den ersten Erfahrungen mit dem Geschwindigkeitsmesser im Krafttraining begann ich, die gesammelten Erkenntnisse zu ordnen. Dabei wurde eine Frage für mich immer zentraler: Ist «velocitiy based» eine Trainingsmethode oder ein Trainingskonzept, welches bestehende Trainingsmethoden integriert?

Gerne möchte ich aufzeigen, wie ich, basierend auf den Erfahrungen aus der Praxis, ein Konzept für den Einsatz des Geschwindigkeitsmessers entwickelte, um mein Trainingssystem zu optimieren.

Relative Maximalkraft – wenn genug, genug ist

Mit Mujinga und Ditaji Kambundji habe ich die Chance zwei aussergewöhnliche Athletinnen zu betreuen. Im ersten Blog erklärte ich, mit welcher Strategie die Entwicklung der Maximalkraft in der Kniebeuge vorangetrieben wurde:

  1. Herantasten – wo stehen sie?
  2. Entwickeln – was ist möglich?
  3. Performen – wo sind ihre Limiten?

Die Abschlussprogramme dieser ersten Phase von Mujinga und Ditaji sahen folgendermassen aus:

Mujinga

Grafik: Abschlussprogramme erste Phase von Mujinga

Ditaji

Grafik: Abschlussprogramme erste Phase von Ditaji


In dieser Phase testeten wir auch die relative Maximalkraft. Mujinga wie auch Ditaji wiesen dabei Werte über 40 N/kg auf. Werte, welche für Sprinterinnen ausreichend sind.

In der nächsten Phase rückte der Transfer der gewonnenen Kraft in die sportartspezifische Bewegung in den Fokus. Dabei wollte ich aber weiterhin die Vorteile der Geschwindigkeitsmessung im Krafttraining auszunutzen.

Diese Ausgangslage war der Startschuss zur Entwicklung meines Trainingskonzeptes.

Mein Trainingskonzept – optimiert durch «velocity based»-Training

Schritt 1

Grafik: Intramuskuläre Koordination - im Verhältgnis zur Geschwindigkeit.

Methode: Intramuskuläre Koordination (90 – 100%) 
«velocity based»-Training: Die Geschwindigkeitsmessung ermöglicht mir die Trainingsmethode «intramuskuläre Koordination» präziser auf die Tagesform der Athletinnen abzustimmen und die Laststufen optimaler zu entwickeln.  
Mentale Aspekte: Athletinnen und Athleten können besser an hohe Lasten herangeführt werden, indem ihnen aufgezeigt wird, in welchen Geschwindigkeitsbereichen sie die Lasten bewegen   Siehe:  Trainingslehre / Kondition – «velocity based»-Training: Geschwindigkeitsmesser im Krafttraining


Schritt 2

Grafik: Intramuskuläre Koordination - im Verhältgnis zur Geschwindigkeit.

Methode: Intramuskuläre Koordination (90%)  
«velocity based»-Training: Aufgrund der Geschwindigkeitsmessung lasse ich die Athletinnen mit 90% des errechneten 1RM trainieren. Dabei steht die Entwicklung der Geschwindigkeit mit hohen Lasten im Zentrum.   
Mentale Aspekte: Die Athletinnen und Athleten erhalten nun ein «Live-Feedback», indem sie während der Übung die erzielten Geschwindigkeiten sehen können. Dieser zusätzliche Stimulus setze ich erst im Schritt 2 bewusst ein. Motto: «feedback drives output»

Beispiel: Mujinga

Kniebeugen: 4x (Bestimmung: Tagesform) / 4x / 4x / 4x

Grafik: Training Mujinga Kniebeugen: 4x (Bestimmung: Tagesform) / 4x / 4x / 4x

Interpretation: Wie man an den durchschnittlichen Geschwindigkeiten erkennen kann, konnte ich mit diesem Training die angestrebten 90% des 1RM nicht erreichen. Der Einsatz des sofortigen Feedbacks in Kombination mit der kompetitiven Einstellung von Mujinga haben mich auf dem falschen Fuss erwischt. In den nächsten Trainings habe ich versucht, mit der Wahl der Laststufen näher an die durchschnittliche Geschwindigkeit von 0.51m/s zu kommen, musste dabei aber jeweils beachten, dass die Steigerungen der hohen Lasten Hand in Hand mit der Technik geblieben sind.


Schritt 3

Grafik: Komplexmethode Geschwindigkeitstraining.

Methode: Komplexmethode  
«velocity based»-Training: Im Schritt 3 ändert sich für mich die Ausrichtung der Geschwindigkeitsmessung. Der Fokus liegt jetzt nicht nur noch auf dem Heben hoher Lasten mit grosser Geschwindigkeit. Mit den erhobenen Daten möchte ich primär die neuronale Ermüdung der Athletinnen und Athleten festhalten. Dieser Faktor hat folglich eine direkte Auswirkung auf die Ausprägung der Belastungen der Schnellkraft/Schnelligkeit (Anpassung der Wiederholungszahlen und/oder Distanzen) und somit in der Umsetzung der Komplexmethode. Die Komplexmethode wird dadurch doppelt präziser.  
Mentale Aspekte: Die Athletinnen und Athleten erhalten eine Information zu ihrer Tagesform.


Konklusion – keine Methode und kein Konzept

Der «velocity based»-Ansatz ermöglicht mir Trainingsmethoden, wie zum Beispiel die intramuskuläre Koordination, präziser auszuführen. Ich erhalte zudem weitere Informationen (neuronale Ermüdung), die ich in anderen Bereichen (Komplexmethode – Schnellkraft) ausnützen kann. Mein Trainingskonzept wird durch die Geschwindigkeitsmessung im Krafttraining im Gesamten präziser und somit effektiver.

«velocity based»-Training ist für mich nicht eine einzelne Methode und auch kein Trainingskonzept, sondern eignet sich als Ergänzung bekannter Methoden. Wer sich entscheidet, Geschwindigkeitsmessungen im Krafttraining einzusetzen, sollte sich überlegen, in welcher Art die gewonnenen Daten in eine Gesamtstrategie des Trainings integriert werden können. Ich bin überzeugt, der «velocity based»-Ansatz liefert interessante Informationen für die innerhalb der Gesamtstrategie entwickelten Trainingsprogramme.


Quellen & weiterführende Literatur