50 Jahre J+S

Let’s go girls!

Mädchen und Frauen jeden Alters mögen Sport! Sie bewegen sich gern und gut, wollen alleine und/oder im Team Ziele erreichen und Sport erleben. Trotzdem treiben Mädchen und junge Frauen in der Schweiz noch immer weniger Sport als Knaben und junge Männer und hören auch früher damit auf. Die Gründe dafür sind vielfältig. Dabei wäre die sportliche Betätigung für die Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung von heranwachsenden Frauen besonders wichtig. Denn sie legen damit die Basis zum lebenslangen Sporttreiben. Im Rahmen der Berichterstattung zum 50. Geburtstag von J+S weist Ihnen dieser Artikel einen Weg, wie Sie als Trainerin und Trainer oder Lehrperson einen motivierenden Beitrag dazu leisten können. 

Mädchen lächelt in die Kamera

Autorin: Lea Cermusoni, Leiterin Ausbildung Sportarten Turnsport und Verantwortliche «Förderung von Mädchen und jungen Frauen im Sport», Jugend- und Erwachsenensport, BASPO

Die erfreulichen Neuigkeiten: Mädchen und junge Frauen bewegen sich mehr als je zuvor. In den letzten sechs Jahren erhöhten sich die Stunden, die Mädchen und jungen Frauen mit Sporttreiben verbringen. Laut dem Bericht «Sport Schweiz 2020 – Kinder- und Jugendbericht» sind rund 80% der Mädchen und jungen Frauen bis 20 Jahre sportlich aktiv. Insbesondere der Anteil an sehr aktiven Mädchen, welche über 7 Stunden die Woche Sport treiben, ist in den letzten sechs Jahren bei den 10-14-jährigen Mädchen um 13 Prozentpunkte und bei den 15-19-Jährigen um 7% (bei den Knaben um 8% resp. 1%) angewachsen. Dazu beigetragen hat u.a. der Fitnessboom.

Die weniger erfreulichen Neuigkeiten: Mädchen und heranwachsende Frauen bewegen sich auf allen Altersstufen weniger als die gleichaltrigen Männer, auch wenn sich die Geschlechterunterschiede laut Sport Schweiz 2020 – Kinder- und Jugendbericht in den letzten sechs Jahren etwas reduziert haben. Der Unterschied beginnt bereits bei den Jüngsten und setzt sich dann ohne weiter anzuwachsen über das Jugendalter fort. Viele junge Frauen hören zwischen 10 und 14 Jahren mit dem Sport auf. Besonders viel Potenzial gibt es zudem bei Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund, bei denen bereits im Bericht von 2014 eine weniger hohe Sportaffinität festgestellt werden konnte.

Jugend+Sport als Sportförderungsprogramm ist sich dieser Problematik bewusst und widmet sich dieser Zielgruppe spezifisch. Derzeit werden, u.a. in Partnerschaft mit SwissOlympic, verschiedene Ausbildungsinhalte und -formen erarbeitet, welche die Förderung von Mädchen und jungen Frauen im Sport zum Ziel haben. Hilfestellungen liefert zum Beispiel der Lernbaustein «Förderung von Mädchen und jungen Frauen im Sport», der die Thematik vordergründig für J+S-Leiterinnen und -Leiter aufschlüsselt. Er dient aber durchaus auch anderen Lehrpersonen als Inspirationsquelle zur Förderung von Mädchen im Sport.


Mädchen und junge Frauen im Sport fördern

Mädchen wirf t einen Ball, andere schauen ihr zu.

Zentral ist es, heranwachsende Frauen einerseits

  • für den Sport zu gewinnen und andererseits
  • sicherzustellen, dass sie ihre Freude daran aufrechterhalten sowie sportlich und persönlich wachsen.

Um diese zwei Ziele erreichen zu können, hilft die Auseinandersetzung mit folgenden Facts rund um das Bewegungsverhalten von Mädchen und jungen Frauen:

Die Einflüsse

  • Der familiäre Hintergrund kann das Bewegungsverhalten stark beeinflussen: Eltern und insbesondere Mütter sind wirkungsvolle Vorbilder, indem sie selbst Sport treiben, Bewegung einen hohen Stellenwert beimessen und Mädchen aktiv in ihrer Sportaktivität unterstützen. Es ist wichtig, dass Mädchen in der Familie, in der Schule und auch in der Sportaktivität mit positiven Vorbildern in Kontakt kommen, die ihnen vorleben, dass Sport für alle ist und im Sport alle gleichgestellt sind.
  • Gesellschaft und Kultur vermitteln ein gewisses Bild davon, was es heisst, eine Frau zu sein. Gleichzeitig bestehen auch gewisse Vorstellungen von Sport und «Athletisch-Sein». Einige Eigenschaften, die im Sport zum Erfolg führen können, wie z.B. kräftig, wettbewerbsorientiert oder «hart im Nehmen» zu sein, werden häufig als eher männlich wahrgenommen. Das kann es heranwachsenden Frauen schwer machen, ihre sportlichen Aktivitäten mit dem «Frau-Sein» in Einklang zu bringen. Gerade in Sportarten, in denen solche Eigenschaften wichtig sind, müssen Vorurteile aktiv abgebaut werden.
  • Für junge Frauen mit Migrationshintergrund kann der kulturelle Hintergrund erschwerend hinzukommen. Es gilt, Eltern zu informieren und ihnen aufzuzeigen, wie wichtig Sport für die Gesundheit ist sowie kulturelle und religiöse Werte und Normen mit sportlichen Angeboten in Einklang zu bringen. Dazu braucht es dringend bedürfnisorientierte Sportangebote, Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten und Schutz vor Diskriminierung, um Mädchen mit Migrationshintergrund den Zugang zum Sport zu erleichtern.
  • Auch die Strukturen spielen eine wichtige Rolle, z.B. die Art des Angebots, wo es stattfindet, aber auch die Umgangskultur und Ziele des Vereins oder Anbieters.

Die Sportsettings

  • Der freiwillige Schulsport ist bei Mädchen besonders beliebt, da sie mit wenig Aufwand und meist kostenlos daran teilnehmen können. Er vermag gerade Mädchen, die sonst keinen Sport machen, solche mit Migrationshintergrund und solche aus finanziell schwächer gestellten Familien anzuziehen.
  • Viele Sportvereine haben noch Potential. Sie bieten ein enger definiertes und häufig wettkampforientiertes Angebot, das den Bedürfnissen vieler Mädchen nicht entspricht. Diese sind deshalb in den Vereinen häufig untervertreten. Hier spielen Vorbilder eine wichtige Rolle: Mädchen treten eher einem Verein bei, wenn z.B. ihre Eltern oder andere Vorbilder Mitglieder sind.
  • Kommerzielle Sportangebote (z.B. Fitness oder Yoga) und auch Angebote der Jugendarbeit oder der Prävention (z.B. Tanzgruppen) kommen bei Mädchen tendenziell gut an.

Die Motive, Wünsche und Bedürfnisse

In der Kindheit  

  • sind der Spass und die Freude an der Bewegung Antrieb zum Sporttreiben.
  • ist das Zusammensein mit Freundinnen und Gleichaltrigen ebenfalls ein wichtiger Faktor

In den Jugendjahren

  • kommen Motive wie Gesundheit, Fitness, Erreichen von sportlichen Zielen, Stressabbau, Entspannung und «etwas für die Figur tun» hinzu.
  • steht der sportliche Wettkampf und Leistungsvergleich für viele Mädchen nicht so stark im Vordergrund. Auch wenn sich einige durchaus gern messen.
ein Trainer instruiert Mädchen im Training

Die daraus resultierenden Bedürfnisse und Wünsche sind also vielfältig. Nachfolgende Punkte erleichtern den Mädchen und jungen Frauen dementsprechend den Zugang zum Sport:

  • Niederschwellige Teilnahme: Nähe zum Schule/Wohnort, kostengünstig, bereits vertraute Leiterinnen und Leiter, keine strikten Bekleidungsregeln, kein spezifisches Sportmaterial nötig, etc.
  • Mitmachen und Leistung erbringen können, ohne zwingend an Wettkämpfen teilnehmen zu müssen
  • Vielfältiges und ev. polysportives Angebot, damit in frühem Alter verschiedene Sportarten ausprobiert werden
  • Angebot, das sowohl Sport als auch Austausch mit Gleichaltrigen zulässt
  • Die Möglichkeit, unter sich ohne Männer Sport zu treiben, so dass Geschlechtsstereotype keine Rolle spielen
  • Leiterinnen oder Leiter mit offener Haltung und Umgang mit frauenspezifischen Themen, wie z.B. der Entwicklung des weiblichen Körpers und des Menstruationszyklus.

Mädchen und junge Frauen für den Sport gewinnen

Die bestehenden Angebote im organisierten Sport passen nicht immer zu den Bedürfnissen und Wünschen von heranwachsenden Frauen. Wie lässt sich das ändern?

Grafik: Mädchen und junge Frauen für den Sport gewinnen
  • Angebot: Bieten Sie Schnupperlektionen, Events oderLager speziell für Mädchen und junge Frauen an. Berücksichtigen Sie ihre Wünsche und Bedürfnisse und gestalten Sie Sequenzen, bei denen sie unter sich Sport treiben können. Koordinieren Sie Ihre Angebote flexibel, z.B. mit Trainingsgruppen für verschiedene Ambitionen mit durchlässigen Grenzen. So können Sie Veränderungen bei den Bedürfnissen besser auffangen und die heranwachsenden Frauen im Angebot halten.
  • Leitende/Lehrpersonen: Lehrpersonen und Leitende im Sport, ob im Verein oder im schulischen Umfeld sollten die Bedürfnisse der Mädchen erkennen und eine offene Einstellung an den Tag legen. AlsLehrpersonen können Sie den Mädchen im schulischen Umfeld ein Vorbild sein, indem sie sie spüren lassen, dass im Sport alle gleich wichtig und willkommen sind. Allenfalls engagieren Sie sich zudem in einer leitenden Funktion in einem Verein. Um die heranwachsenden Frauen in die Vereinsstrukturen einzubinden, können Sie z.B. ältere Jugendliche als Hilfsleiterinnen (1418coach) einsetzen oder sie mit anderen Aufgaben betrauen.
  • Infrastruktur: Behandeln Sie Mädchen und junge Frauen bei Trainingszeiten, Ort, Ausrüstung und Garderoben gleichberechtigt, insbesondere im Verein. Achten Sie z.B. darauf, dass Mädchen eine eigene Garderobe bzw. angemessene Privatsphäre beim Umziehen haben, auch wenn sie eine kleine Minderheit in einem Team/Klasse darstellen. Mädchen und junge Frauen müssen sich sicher fühlen.
  • Anbindung: Knüpfen Angebote zeitlich und örtlich an den Tagesablauf oder die (Berufs-) Schule an, fällt es leichter, sportlich aktiv zu bleiben. Wird der Übergangvom Freiwilligen- oder Berufsschulsport zum Vereinssport oder kommerziellen Angebot berücksichtigt und gestaltet, können mehr Mädchen und junge Frauen im Sport gehalten werden. Man kann mit anderen Sportanbietern zusammenarbeiten und z.B. Hallen sowie Leiterinnen und Leiter teilen oder gemeinsam ein breiteres Angebot anbieten.
  • Kommunikation: Die Informationen zu Ihrem Angebot sollen alle potenziell interessierten Mädchen und deren Eltern erreichen. Lokale Sportkoordinatorinnen und -koordinatoren können dabei unterstützen. Machen Sie weibliche Vorbilder für Ihr Angebot (oder für eine thematisch orientierte Sportlektion) als Aushängeschilder sichtbar und würdigen Sie die sportlichen Leistungen der Mädchen und jungen Frauen. Tauschen Sie Ihre Erfahrungen mit anderen Sportanbietern (und Sportlehrpersonen aus Ihrer Schule) aus und inspirieren Sie sich gegenseitig.
  • Mädchen mit Migrationshintergrund: Versuchen Sie, Mädchen bereits früh in Angebote einzubinden und mit Kindergarten oder Schule zusammenzuarbeiten. Umfassende Informationen, der Einbezug der Eltern sowie Lehrpersonen/Leiterinnen und Leiter, die selbst einen Migrationshintergrund haben, können die Akzeptanz erhöhen. Wenn nötig, bieten interkulturelle Vereine oder Beratungsstellen Unterstützung.

Sportumgebungen für Mädchen und junge Frauen gestalten

Mädchen balanciert auf schmaler Seite von  Langbank einen Badminton-Schläger mit Shuttle.

Als Lehrperson beeinflusst Ihr Verhalten und Ihr Umgang mit den Mitgliedern Ihrer Gruppe/Klasse und anderen Akteuren die heranwachsenden Frauen. Wie erfüllt sie den Sport erleben, wie sie sich darin entwickeln und wie gut sie sich gefördert fühlen, hängt auch von Ihnen ab.

Nachfolgend sechs Werkzeuge aus dem «Coaching Girls Guide». Sie unterstützen Sie dabei, eine mädchenzentrierte Umgebung zu schaffen.

1. Gestalten Sie eine passende Umgebung

Richten Sie die Umgebung so ein, dass sich Mädchen und junge Frauen sicher und willkommen fühlen. Stellen Sie vielfältiges Material zur Verfügung, das sie zum Ausprobieren und Entdecken anregt.

Grafik passende Umgebung


2. Gestalten Sie eine passende Team-Kultur

Verwenden Sie eine inklusive Sprache, indem Sie z.B. von Spielerinnen und nicht von Spielern sprechen, von Teams und nicht von Mannschaften. Überlegen Sie, wie Sie Mädchen und junge Frauen einbeziehen. Sprechen Sie über Hindernisse und Wahrnehmungen, fragen Sie nach ihren Bedürfnissen.

Grafik Team-Kultur

3. Bauen Sie Beziehungen auf

Seien Sie ein positives Vorbild. Bauen Sie Vertrauen auf, teilen Sie Ihre eigenen Erfahrungen und Begeisterung für den Sport. Fördern Sie die Verbindungen der Mädchen untereinander

Grafik Beziehungen

4. Lassen Sie die Mädchen wetteifern und konkurrieren

Fördern Sie einen gesunden Umgang mit Wettkampf. Lassen Sie Mädchen und junge Frauen vielseitige Wettkampfformen ausprobieren und ihre Leistung im Wettkampf individuell oder als Team entwickeln.

Grafik Wettbewerb

5. Legen Sie den Fokus auf den Prozess, nicht das Ergebnis

Loben Sie die heranwachsenden Frauen für ihre sportlichen und persönlichen Entwicklungsschritte. Das verändert die Definition von Erfolg, erhöht ihr Selbstbewusstsein und motiviert sie, Neues auszuprobieren und Risiken einzugehen.

Grafik Prozess

6. Ermuntern Sie die Mädchen mutig zu sein, nicht perfekt

Belohnen Sie Mut, nicht Perfektion. Junge Frauen spüren viel Druck, perfekt sein zu müssen. Das hemmt sie dabei, Risiken einzugehen. Geben Sie ihnen Sicherheit. Vermitteln Sie ihnen das Gefühl, geschätzt zu werden und nutzen Sie Fehler positiv.

Grafik ermuntern

Konkrete Beispiele zu den Werkzeugen finden Sie hier (Kapitel «tools for coaches & program leaders»)


Gemischtgeschlechtliche Klassen/Gruppen

Ein Mädchen und ein Junge beim Rugby-Spiel.

Gruppen gemischten Geschlechts können sowohl Vorteile als auch Herausforderungen mit sich bringen. Viele der Strategien, um ein gutes Umfeld für Mädchen zu schaffen, können auch für Knaben und gemischtgeschlechtliche Gruppen angewandt werden. Es lohnt sich, bei gemischtgeschlechtlichen Gruppen folgende Punkte speziell zu beachten.

  1. Gruppenbildung: Kinder und Jugendliche einer Gruppe bringen unabhängig ihres Geschlechts verschiedene Voraussetzungen und Fähigkeiten mit. Bilden Sie Gruppen z.B. nach Erfahrung, Fähigkeiten oder Präferenzen anstatt nach Alter, Grösse oder Geschlecht. Oder nutzen sie ein Spiel zur Gruppenbildung.
  2. Gleiche Standards: Verwenden Sie gleiche Standards für Mädchen und Jungen. Sonderregelungen wie z.B. doppelt gezählte Tore von Mädchen sind gut gemeint, werten aber die Leistung von Mädchen ab. Schaffen Sie vielmehr Bedingungen, die für alle gleich sind und allen Erfolgserlebnisse ermöglichen. Z.B. dass jedes Gruppenmitglied den Ball berührt haben muss, bevor auf das Tor geschossen werden darf.
  3. Gleich loben: Achten Sie beim Loben darauf, dass Sie das Geschlecht ausser Acht lassen. Loben Sie Mädchen und Knaben gleich oft und für die gleichen Dinge. Z.B. wenn sie etwas Neues ausprobieren, wie auch ein Tor erzielen oder sich fair verhalten.

Ein Mädchen beim Boxen.

Einen eigenen Beitrag zur Förderung von Mädchen und jungen Frauen und deren Zugang zum und Teilhabe am Sport zu leisten, ist keine Hexerei. Wer mehr Mädchen und junge Frauen über den Sport «empowern» und damit ihren Selbstwert und ihre Persönlichkeit fördern will, braucht aber eine gewisse Sensitivität, um mädchenspezifischere Angebote umsetzen zu können: Allem voran das Bewusstsein über die Thematik und das Wissen über die Einflussfaktoren, die Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse, die Verwendung einer inklusiven Sprache und eine offene Haltung.

Überlegen Sie für sich, welche der obenstehenden Ideen Sie selbst in ihre Tätigkeit integrieren oder umsetzen könnten.

Weiterführende Informationen

Förderung von Mädchen und Jungen Frauen im Sport, Bundesamt für Sport BASPO

Sammlung Projekte und Programme

Spannende und praxisorientierte Beiträge rund um das Thema

Netzwerke

Swiss Olympic