Sportcoaching

Wettkampfcoaching – der wirksame Debriefing–Zyklus

Das Debriefing nach dem Wettkampf ist ein entscheidendes Tool des Trainers/der Trainerin in der Rolle als Wettkampf-Coach. Hier findet die Selbstreflexion, die Leistungsanalyse und der Feedback-Prozess statt, der die Weiterentwicklung des Athleten/der Athletin und das Lernen ermöglicht. Zudem prägt das Debriefing die Athletinnen-Trainerinnen-Beziehung im entscheidenden Mass – im Erfolg, wie auch in der Niederlage.

Blog-Beiträge der Trainerbildung Schweiz (TBS)

Die Trainerbildung Schweiz (TBS) baut ihr digitales Angebot zur Unterstützung von Trainerinnen und Trainern stetig aus. Dazu publizieren wir regelmässig spannende Blog-Beiträge sowie Tipps und Tricks für Training und Wettkampf.

Sportcoaching: Wettkampfcoaching –  der wirksame Debriefing–Zyklus

Autor: Heinz Müller, Verantwortlicher Fachbereich Sportcoaching und Trainerberatung, Trainerbildung Schweiz

Was sind wir gemeinsam in der Lage aus dem Sieg, dem Gelungenen und auch aus den Fehlern und dem Scheitern zu lernen? Solche und viele weitere Fragen treiben Trainer/innen und Athletinnen nach einem Wettkampf um, darüber reflektiert wird im Debriefing. Der Begriff selber meint die Nachbesprechung oder Nachbereitung mit gemeinsamer Analyse eines Ereignisses oder einer wichtigen Situation. Der Anglizismus mit der Vorsilbe De- entstammt dem engl. briefing = Einsatzbesprechung und engl. brief = kurz.

Die Dauer kann im Sport sehr unterschiedlich sein. Der ganze Debriefing-Zyklus kann je nach Bedarf Minuten bis Stunden oder nach Olympischen Spielen sogar Tage und Wochen dauern. Findet das Debriefing direkt nach dem Wettkampf statt, nennt man das Hot-Debriefing, da die Eindrücke für den Athleten/die Athletin (nachfolgend Coachee genannt) und den Coach noch «frisch» sind.


Wie gestalte ich ein wirksames Debriefing?  

Der Debriefing-Zyklus wird vom Autoren (Müller 2021, 2023) in acht Phasen aufteilt, welche im folgenden Blog-Beitrag beschreiben werden. Das Modell orientiert sich am Debriefing-Modell im Leistungssport von Hogg & Kellmann (2002). Der Debriefing-Zyklus kann sowohl der Besprechung und systematischen Auswertung eines Wettkampfs als auch der vertieften Analyse eines Schlüsseltrainings oder eines Leistungstests dienen.

Sportcoaching: Wettkampfcoaching –  der wirksame Debriefing–Zyklus

1. Setting wählen

Setting wählen

Ich überlege mir, wie ich die Nachbesprechung eines Wettkampfs oder eines anderen wichtigen Ereignisses (Leistungstest, Abschlusstraining) durchführe. Die Wahl des Settings kann darüber entscheiden, ob der Einstieg in das Debriefing gelingt und das Klima geschaffen werden kann, damit der Coachee offen von seinen Erlebnissen erzählt. Es gilt im Sinne des hirngerechten und gut getimten Coachings (vgl. Linz 2018) auch zu berücksichtigen, dass der Coachee physiologisch, mental und emotional dazu bereit sein sollte. Ich gebe dem Coachee genügend Zeit durchzuatmen, sich allenfalls etwas Trockenes anzuziehen, etwas zu trinken und etwas Abstand zum Erlebten zu gewinnen. Wenn ich ein Hot-Debriefing durchführe, ist diese Zeitspanne entsprechend kurz.

Fragen zur Vorbereitung des Debriefings:

  • Was ist das Ziel?
  • Wo soll es stattfinden (z.B. Wettkampfgelände, Hotel, Auto, Garderobe etc.)
  • Wann führe ich es durch (z.B. direkt nach dem Wettkampf, nach einigen Minuten, Stunden danach)?
  • Bin ich ruhig genug? Wie steht es mit meinen Emotionen? Sind meine Gedanken klar?
  • Hatte ich genügend Zeit für meine Analyse?
  • Konnte ich mich mit meinem Staff besprechen?
  • Liegen mir bereits Daten bezüglich der Leistung vor?
  • Welchen Lernprozess will ich anstossen?

2. Emotionen und Gedanken austauschen

Emotionen und Gedanken austauschen

Der Sport lebt von und mit den Emotionen. Diese können sehr starke Energien auslösen oder hemmend wirken. Emotionen setzen sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Nach der Formel von LeDroux (2015) konstituieren sich Emotionen wie folgt:

Situation & Aufmerksamkeit + Aktivierung unbewusster Erinnerungen + körperliche Reaktion + kognitive Interpretation

Formel von LeDroux (2015)

Der Coach verschafft sich ein Bild über die Emotionen, die bei seinem Coachee oder seinen Coaches nach dem Wettkampf vorherrschen. Vielleicht ist der Coachee ganz still und in sich gekehrt oderquasselt «wild» vor sich hin und ist sehr redselig. Er flucht vielleicht entsprechend oder freut sich schmunzelnd. Dies gilt es als Coach zu beobachten und anzusprechen Ein Debriefing kann entsprechend mit der Wahrnehmung des Coaches beginnen.

Zur Einschätzung können ihm fragen helfen wie:

  • Was beschäftigt den Coachee besonders?
  • Welche Emotionen sind wohl vorhanden?
  • Welche Mimik und Gestik kann ich erkennen?
  • In welcher Stimmung befindet sich der Coachee?
  • Was geht dem Coachee wohl durch den Kopf?

Mögliche Einstiegsfragen:

  • Was geht dir durch den Kopf?
  • Was beschäftigt dich (besonders)?
  • Worüber möchtest du sprechen?
  • Wie ist dein Zustand?

Mögliche Einstiegsfragen mit der Offenlegung der Wahrnehmung des Coaches:

  • Ich erkenne Freude in deinem Gesicht…stimmt dieser Eindruck? Wenn ja, was freut dich besonders?
  • Ich nehme dich als verärgert wahr…stimmt dieser Eindruck?

3. Leistungsanalyse der Athleten/Athletinnen

Leistungsanalyse der Athleten/Athletinnen

Als nächsten Schritt lasse ich den Coachee über seinen Wettkampf reden. Ich möchte eine Einschätzung über die Innensicht seiner Leistung. Ich lasse die Coachees zuerst sprechen, um seine Gedankengänge wahrzunehmen. Ich kann dann im nächsten Step daran anknüpfen und meine Analyse aufbauend anschliessen. Wenn ich zuerst mein Feedback geben würde, wäre der Coachee allenfalls von meiner Meinung und Einschätzung beeinflusst. Der Coachee steht hier mit seiner Wahrnehmung des Erlebten im Zentrum.

Fragen zur Analyse:

  • Was ist dir aufgefallen?
  • Was hast du erlebt?
  • Was kannst du zur Leistung sagen?

Fragen über das Gelungene:

  • Was ist dir gelungen?
  • Was hat dir gefallen?
  • Worüber bist du stolz?

Fragen zum Verbesserungspotential:

  • Was kannst du verbessern?
  • Was möchtest du ändern?
  • Womit bist du nicht zufrieden? Weshalb?
  • Was würdest du das nächste Mal anders machen?
  • Wo siehst du Potential?

4. Feedback der Trainer/Trainerinnen

Feedback der Trainer/Trainerinnen

Ich beziehe mich beim Feedback auf die Verhaltens- und Resultatziele, welche wir mit dem Coachee formuliert hatten. Eine Skalierung mit Zahlen oder Wörtern bezüglich dem Zielerreichungsgrad kann für die Einschätzung und Beurteilung hilfreich sein (1-7 oder 1-10). Je präziser die Verhaltensziele formuliert wurden und je mehr objektive Daten zur Verfügung stehen, desto aussagekräftiger kann die Rückmeldung ausfallen. Dazu kommt das Feedback mittels subjektiver Parameter (Auge des Trainers/der Trainerin, Blickwinkel, Videoaufnahmen, Erfahrung). Meine Rückmeldung berücksichtigt die Regeln des Coaching-Kunsthandwerks:

  • Ist der Coachee bereit für das Feedback?
  • Ich-Aussagen
  • Ich bin offen und ehrlich
  • Ich bin konstruktiv und lösungsorientiert
  • Klar, präzis und so konkret wie möglich auf das Verhalten orientiert
  • Achtsam und angemessen
  • Wenn möglich nachprüfbar und belegbar mit Daten

5. Diskussion der Eigen- und Aussensicht

Diskussion der Eigen- und Aussensicht

Ich leite die Diskussion zur Leistungseinschätzung mit der Innensicht des Coachees und meiner eigenen Aussensicht als Coach. Der Vergleich der Selbst- und Fremdwahrnehmung kann als Chance für die Weiterentwicklung genutzt werden. Wenn Konsens besteht umso besser. Ausser wir tappen beide im Dunkeln! Wenn Zweifel bestehen würden, können Daten, Videos oder eine weitere Aussensicht von anderen Athletinnen oder Coaches aus dem Staff einbezogen werden. Ist genügend Zeit vorhanden, können allfällige Divergenzen ausdiskutiert werden.

  • Worin liegt der Unterschied unserer Einschätzung der Leistung?
  • Bis wohin sind wir uns einig?
  • Wie können wir in Zukunft mehr Rückmeldungen bezüglich der unterschiedlichen Parameter generieren?

Diese Diskussion findet in einem faktenbasierten, konstruktiven und lösungsorientierten Dialog statt. Missverständnisse werden umgehend ausgeräumt.


6. Optimierungsbedarf ableiten

Optimierungsbedarf ableiten

Die Diskussion über die Eigen- und Aussensicht ist die Basis, um den Optimierungsbedarf für die nächste Trainings- und Wettkampfphase abzuleiten. In einem gemeinsamen Prozess mit dem Coache definieren wir so konkret wie möglich, was beibehalten oder optimiert werden soll. Die Daten aus der Leistungsanalyse und die Sicht von Staffmitgliedern können diesen Schritt mit wichtigen Informationen unterstützen.

  • Was war gut und kann beibehalten werden?
  • Was oder wovon sollten wir mehr machen?
  • Welche Stärken sollten wir noch stärker machen, da sie entscheidend sind?
  • Was müssen wir verbessern?
  • Was müssen wir ändern?

7. Ziele und Massnahmen ableiten

Ziele und Massnahmen ableiten

Nach der Besprechung und Festlegung des Optimierungsbedarfs werden konkrete Verhaltens- und Ergebnisziele definiert. Je nach Situation, Formstand und Zeit, die zur Verfügung steht, werden die vorhandenen Ziele unverändert belassen, angepasst oder korrigiert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit Zielen zu arbeiten. Wir können Minimal-, Normal-, Optimal- und Idealziele erarbeiten. Genauso entscheidend, wie die Ableitung von Zielen ist die Ausformulierung der konkreten Massnahmen zur Zielerreichung.

In dieser Phase hilft es, lösungsorientiert zu coachen (siehe Beitrag Lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching). Ich spreche mit den Coachees, wie es konkret aussieht oder wie es sich anfühlt, wenn sie das Verhalten im Wettkampf optimal zeigen können. Durch die Beschäftigung mit und die Vorstellung von der Lösung kann diese konkreter und klarer repräsentiert, erinnert und umgesetzt werden.

  • Wie sieht es aus, wenn es mir gelingt?
  • Was mache ich, damit es klappt?
  • Was kann ich zur Lösung beitragen?
  • Was spüre ich, wenn ich optimal unterwegs bin?

8. Umsetzung realisieren

Umsetzung realisieren

Beim letzten Schritt definieren wir, wie wir die formulierten Massnahmen konkret umsetzen. Ich achte darauf, dass jedem Coachee und allen Staffmitgliedern klar ist, mit welchen Massnahmen wir die Ziele erreichen wollen. Es geht darum Aufgaben zu verteilen, Daten zu erheben, Pendenzen abzuarbeiten, Trainings zu überwachen und oft auch organisatorische Massnahmen umzusetzen. Ich bin hier oft auch in der Rolle des Leaders und Organisators gefragt (siehe Beitrag Die sechs Rollen einer Trainerin/eines Trainers). Zur Umsetzung der Massnahmen gehört auch zu definieren, wie wir überprüfen, ob wir im Sinne des Qualitätsmanagements auf dem richtigen Weg sind. Wir loben uns, für jeden Fortschritt und wollen jeden Tag besser werden!

  • Wer hat dabei welche Aufgaben zu übernehmen?
  • Wer macht bezüglich der Massnahmen was, wie, wozu und wann?
  • Wie kontrollieren wir die Umsetzung der Massnahmen?

Fazit

Damit das Debriefing gelingen kann und einen wirksamen Beitrag zum Lernprozess für Coachee und Coach bietet, sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

  • Wähle das Setting bewusst.
  • Lass Raum und Zeit für Emotionen und Gedanken.
  • Der Coachee schätzt zuerst seine Leistung ein.
  • Schildere deine Wahrnehmung und Analyse gemäss den Feedbackregeln.
  • Diskutiert über die Eigen- und Aussensicht.
  • Leitet zusammen Verbesserungspotential ab.
  • Passt wenn nötig die Ziele an und formuliert konkrete Massnahmen.
  • Realisiert gemeinsam die Umsetzung der Massnahmen.
  • Lobt euch für den Fortschritt und lernt weiter dazu.

Quellen und Literatur